Skip to content

Inhalt und Umfang der Mitbestimmung bei der Einführung und Änderung von Zusagen auf betriebliche Altersversorgung (bAV)

Mit der Ausnahme des Anspruchs auf Entgeltumwandlung, steht es Arbeitgebern im Rahmen ihrer unternehmerischen Entscheidungsfreiheit frei, Arbeitnehmern Leistungen der betrieblichen Altersversorgung (bAV) zu gewähren. Allerdings dürfen bestehende betriebliche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht gänzlich außer Acht gelassen werden. So hat der Betriebsrat Mitbestimmungsrechte, die im Rahmen der Einführung und Änderung von betrieblichen Versorgungssystemen berücksichtigt werden müssen. Zudem sind in der Praxis häufig Betriebsvereinbarungen Grundlage zur Begründung von bAV-Ansprüchen und der entsprechenden Leistungspläne. Insofern stellt sich die Frage, welche Maßnahmen der Arbeitgeber „in Eigenregie“ umsetzen kann und für welche er auf die Mitwirkung des Betriebsrats angewiesen ist. Der nachfolgende Beitrag soll zu dieser Thematik einen kurzen Überblick geben.

Mitbestimmungsfreie Grundentscheidungen des Arbeitgebers

Bei der Einführung einer bAV für die Arbeitnehmer handelt es sich um eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers. Er kann mitbestimmungsfrei über das Ob, den Umfang sowie den Zweck der arbeitgeberfinanzierten betrieblichen Altersversorgung bestimmen. Im Einzelnen haben sich nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vier grundlegende Entscheidungsbereiche im Zusammenhang mit bAV – die „vier Grundfreiheiten“ – herauskristallisiert, die keiner betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmung unterliegen (BAG v. 29. Juli 2003 – 3 ABR 34/02). Hiernach entscheidet der Arbeitgeber vollständig autonom,

  • ob er eine bAV für seinen Betrieb, sein Unternehmen oder seinen Konzern einrichten möchte,
  • über die finanziellen Mittel, die er für die bAV zur Verfügung stellen möchte,
  • welcher konkrete Personenkreis begünstigt werden soll, sowie
  • welcher Durchführungsweg und welcher Versorgungsträger ausgewählt werden sollen.

Da die Entscheidung eine bAV einzuführen und die damit zusammenhängenden Fragen ein großes finanzielles Risiko für den Arbeitgeber mit sich bringen, kann dieser – sofern keine tarifliche Regelung hierzu existiert – selbst entscheiden, ob er sich einem solchen Risiko aussetzen möchte. Daher ist auch die Frage mitbestimmungsfrei, welche Versorgungsrisiken (Alter, Invalidität, Tod) der Arbeitgeber mit der bAV abdecken und ob er eine Versorgungsleistung in Form einer Rente oder einer Kapitalleistung gewähren möchte. Da die Entscheidung über die Einführung einer arbeitgeberfinanzierten bAV keinem Mitbestimmungsrecht unterliegt, kann der Betriebsrat die Einführung auch nicht initiativ erzwingen. Ungeachtet der Entscheidungsfreiheit sind bei der Bestimmung des Personenkreises Diskriminierungsverbote und der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten, insbesondere zwischen Männern und Frauen sowie bei befristet und unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern. Differenzierungen bedürfen eines hinreichenden Sachgrundes.

Betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmungstatbestände bei der bAV

Wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern bAV gewähren möchte und die hierzu erforderlichen (mitbestimmungsfreien) Entscheidungen getroffen hat, muss er weiterhin die Mitbestimmungstatbestände nach § 87 Abs. 1 Nr. 8 und Nr. 10 BetrVG beachten. Dazu muss es sich jedoch um allgemeine bzw. kollektive Regelungen handeln, die sich auf einen bestimmten Personenkreis beziehen und nicht um eine Gestaltung des Einzelfalls.

Bei den externen Durchführungswegen der Unterstützungskasse, Pensionskasse und Pensionsfonds kann es sich zudem um Sozialeinrichtungen im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG handeln. Erforderlich ist, dass diese sich in ihrem Wirkungsbereich auf den jeweiligen Betrieb, das Unternehmen oder den Konzern beschränken. Überbetriebliche Einrichtungen, welche sich als „Wettbewerbskassen“ an einen unbestimmten Personenkreis richten, sind hingegen nicht vom Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats erfasst. Liegt hiernach eine Sozialeinrichtung vor, bezieht sich das Mitbestimmungsrecht auf die Form, Ausgestaltung und die Verwaltung dieser Sozialeinrichtung. Das bedeutet, dass der Betriebsrat im Rahmen der bAV konkret bei der Ausgestaltung des Leistungsplans und der Verteilungsgrundsätze über ein Mitbestimmungsrecht verfügt. Der Leistungsplan bzw. die Versorgungsordnung regelt die Einzelheiten zum Entstehen und Erlöschen von bAV-Anwartschaften und -ansprüchen.

Bei den Durchführungswegen der Direktzusage und der Direktversicherung greift hingegen der Auffangtatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ein, da es sich bei der freiwilligen bAV um Lohn handelt und für Nr. 8 BetrVG bei der Direktversicherung an der Beschränkung des Wirkungskreises des Trägerunternehmens auf den Betrieb, das Unternehmen oder den Konzern und bei der Direktzusage an der selbstständigen Institution mangelt. Schließt der Arbeitgeber für die Zusage von Direktversicherungen Lebensversicherungsverträge zugunsten seiner Arbeitnehmer ab, unterliegen auch hier der Leistungsplan und die Regelungen über die Heranziehung der Arbeitnehmer zu Versicherungsbeiträgen der Mitbestimmung.

Wechsel des Durchführungswegs und der Versicherungsgesellschaft

Wie bereits erläutert, unterliegt die Entscheidung des Arbeitgebers zur Einführung von bAV auch im Hinblick auf die Auswahl des Durchführungswegs keiner Mitbestimmung. Das gleiche gilt bei einer Direktversicherung bei der Auswahl des konkreten Versicherungsunternehmens, mit dem die Lebensversicherungsverträge abgeschlossen werden (BAG v. 16. Februar 1993 – 3 ABR 29/92). Da die Auswahl des Durchführungswegs und der Versicherungsgesellschaft zu den mitbestimmungsfreien Entscheidungen gehören, ist dementsprechend auch der Wechsel der Durchführungsform oder der Versicherungsgesellschaft durch Übertragung der Versicherungen grundsätzlich mitbestimmungsfrei. Dies gilt allerdings nur, solange der Verteilungsplan und die Beitragsbelastung der Arbeitnehmer davon unberührt bleiben (BAG v. 16. Februar 1993 – 3 ABR 29/92).

Kürzung oder Einstellung von freiwilligen Leistungen der bAV

So wie der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei bAV-Leistungen gewähren kann, ist er auch berechtigt, die finanziellen Mittel mitbestimmungsfrei einzuschränken sowie ein Versorgungswerk oder zu diesem Zweck errichtete Sozialeinrichtungen (z.B. Unterstützungskasse) ohne Mitwirkung des Betriebsrats zu schließen oder ihren Zweck zu ändern. Zu beachten ist indes, dass nach Kürzung von finanziellen Mitteln diese auf die bestehenden begünstigten Arbeitnehmer neu verteilt werden müssen. Dieser Vorgang, die Aufstellung des neuen Leistungsplans auf Grundlage der gekürzten finanziellen Mittel, ist wiederum Gegenstand der Mitbestimmung des Betriebsrats.

Betriebsvereinbarungen als Rechtsgrundlage

In der Praxis werden bAV-Leistungen häufig durch – freiwillige – Betriebsvereinbarungen als Rechtsgrundlage begründet und gestaltet. Hierin können sowohl die erzwingbaren Mitbestimmungsrechte, etwa hinsichtlich der Ausgestaltung des Leistungsplans und der Verteilungsgrundsätze, als auch die mitbestimmungsfreien Angelegenheiten geregelt werden. Solche Betriebsvereinbarungen über bAV sind für gewöhnlich unbefristet. Sie können allerdings, soweit nichts anderes vereinbart ist, mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden. Das Kündigungsrecht bedarf keiner Rechtfertigung und unterliegt keiner inhaltlichen Kontrolle (BAG v. 18. September 2001 – 3 AZR 728/00).

Versorgungssysteme können zwar auch auf individualrechtlicher Grundlage eingeführt werden. Die genannten Mitbestimmungsrechte müssten jedoch weiterhin beachtet werden, soweit es sich nicht um eine Individualzusage handelt. Eine Betriebsvereinbarung als Grundlage einer bAV bietet sich insoweit an, weil so eine einheitliche Regelung, insbesondere bei Unternehmens- oder Konzernbezug, eingeführt werden kann und für eine Änderung lediglich eine Einigung mit dem Betriebsrat erforderlich ist. Bei Individualvereinbarungen müsste hingegen jeder einzelne Arbeitnehmer den Änderungen zustimmen, was sich in der Praxis, gerade bei größeren bAV-Populationen, schwierig gestaltet.

Beendigung/Kündigung von Betriebsvereinbarungen zur bAV

Grundsätzlich entfalten gekündigte Betriebsvereinbarungen Nachwirkung, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. In Angelegenheiten der bAV ist dies aber grundsätzlich nicht der Fall, denn die Nachwirkung (§ 77 Abs. 6 BetrVG) bezieht sich ausdrücklich nur auf Betriebsvereinbarungen über Gegenstände der erzwingbaren Mitbestimmung, worunter Betriebsvereinbarungen über bAV nicht fallen. Nach ständiger Rechtsprechung kommt eine Nachwirkung nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Auslaufen der Kündigungsfrist eine vergleichbare betriebsverfassungsrechtliche Neuregelung angestrebt wird (BAG v. 18. September 2001 – 3 AZR 728/00). Hier geht es dem Arbeitgeber nämlich um die Durchsetzung einer Änderung des Leistungsplans, welche dem erzwingbaren Mitbestimmungsrecht unterliegt. Wenn der Arbeitgeber die Betriebsvereinbarung kündigt ohne die bAV fortführen zu wollen, kommt es hingegen nicht zu einer Nachwirkung.

Da die Kündigung einer solchen Betriebsvereinbarung über bAV nicht nur verhindert, dass neue Arbeitnehmer in das Versorgungswerk eintreten, sondern ebenso Auswirkungen auf Rechte bereits begünstigter Arbeitnehmer hat, sind hinsichtlich der Rechtsfolgen der Kündigung die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit einzuhalten (BAG v. 13. November 2007 – 3 AZR 455/06). Die bereits erworbenen Besitzstände der Arbeitnehmer sind durch die vom BAG entwickelte Dreistufen-Theorie geschützt.

Abändernde oder ablösende Betriebsvereinbarung

Eine bestehende Betriebsvereinbarung über bAV kann auch durch eine abändernde oder ablösende Betriebsvereinbarung geändert werden. Nach der Zeitkollisionsregel findet die neue Betriebsvereinbarung dann Anwendung und löst die alte ab. Nach Auffassung des BAG kann dies aber für die bAV nicht schrankenlos erfolgen. Vielmehr unterliegt die neue Regelung in diesem Fall einer Billigkeitskontrolle und ablösende Vereinbarungen sind nach den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und des Verhältnismäßigkeitsgebots anhand der sog. Dreistufen-Theorie zu überprüfen:

  • 1. Besitzstandsstufe – Eingriffe in erdiente Anwartschaften: Grundsätzlich darf in bereits erdiente Ansprüche und Anwartschaften nicht eingegriffen werden. Eine Kürzung von unverfallbaren und insolvenzgeschützten Anwartschaften ist nur aus zwingenden Gründen zulässig. In Betracht kommen hier z.B. planwidrige Überversorgungen oder bei Einführung der bAV nicht vorhersehbare, außergewöhnliche Mehrbelastungen,
  • 2. Besitzstandsstufe – Eingriff in eine erdiente Dynamik: Änderungen bei Zuwächsen, die sich dienstzeitunabhängig allein aus variablen Berechnungsfaktoren ergeben, also Eingriffe in die erdiente Anwartschaftsdynamik, können hingegen nur durch triftige Gründe gerechtfertigt werden (z.B. Substanzgefährdung),
  • 3. Besitzstandsstufe – Eingriffe in noch nicht erdiente dientszeitabhängige Zuwächse: Auf dieser Stufe sind bei Eingriffen die geringsten Anforderungen zu stellen. Ausreichend sind sachlich-proportionale Gründe, die nicht willkürlich sein dürfen und nachvollziehbar erkennen lassen, welche Umstände und Erwägungen zur Änderung der Versorgungszusage Anlass gegeben haben (z.B. wirtschaftlich schwierige Lage).

Entgeltumwandlung

Betriebliche Versorgungszusagen durch Entgeltumwandlung können ebenfalls in einer freiwilligen Betriebsvereinbarung geregelt werden. Der Betriebsrat hat allerdings aufgrund der hier bestehenden gesetzlichen Regelung in § 1a BetrAVG kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht. Nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG hat der Betriebsrat nur dann Mitbestimmungsrechte, sofern zu der Angelegenheit keine gesetzlichen oder tariflichen Regelungen bestehen. Die Einzelheiten hinsichtlich der bAV durch Entgeltumwandlung sind jedoch umfassend im Betriebsrentengesetz (§ 1a BetrAVG) geregelt. Zudem gibt es eine Vielzahl von tarifvertraglichen Regelungen, so dass es für eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung einer tarifvertraglichen Öffnungsklausel bedarf. Die Frage der Auswahl des konkreten Durchführungswegs für Entgeltumwandlungen unterliegt ohnehin nicht dem Mitbestimmungsrecht.

Praxishinweis

Sowohl bei der Einführung als auch bei der Änderung und Ablösung von bestehenden bAV-Regelungen sollte immer sorgfältig geprüft werden, ob und welche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats berücksichtigt werden müssen. Die Einführung von bAV durch Betriebsvereinbarungen bietet sich für kollektive Regelungen über Angelegenheiten der bAV zwar an, da spätere Änderungen einheitlich und mit Blick auf nur einen Verhandlungspartner (dem Betriebsrat) einfacher erreicht werden können. Dabei müssen allerdings zum einen die erzwingbaren Mitbestimmungstatbestände und zum anderen die Risiken bei Änderungen von Betriebsvereinbarungen über bAV beachtet werden. Insbesondere nicht gerechtfertigte Eingriffe in Besitzstände der Versorgungsanwartschaften und unter Verletzung der Mitbestimmung des Betriebsrats durchgeführte Maßnahmen zum Nachteil der Arbeitnehmer, können nachträglich zu erheblichen finanziellen Belastungen führen.