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Veganes Kantinenessen und E-Bikes für Mitarbeitende – Die Rolle des Betriebsrats bei der Implementierung von ESG-Konzepten

An dem Thema ESG (Environmental – Social – Governance), der Umsetzung nachhaltiger Konzepte und Maßnahmen, führt für Unternehmen kein Weg (mehr) vorbei. Nicht erst, seitdem Unternehmen aufgrund steigender Energiepreise zum Energiesparen angehalten sind und Lieferketten ins Stocken geraten, ist nachhaltiges Wirtschaften das Gebot der Stunde. Auch im Bereich des Recruitings, aber auch für die Kunden- und Investierendengewinnung gewinnt die glaubwürdige Umsetzung von ESG-Konzepten zunehmend an Bedeutung. Nicht zuletzt setzt auch die Richtlinie hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (Corporate Sustainability Reporting Directive – CSRD), auf die sich jüngst der Rat und das EU-Parlament geeinigt haben und die Unternehmen künftig zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet, Anreize zur nachhaltigen Gestaltung.

Während es an guten Konzepten zur Umsetzung von ESG-Kriterien nicht mangelt, sind Unternehmen in der Umsetzung von Nachhaltigkeitskonzepten nicht stets frei. Insbesondere dem Betriebsrat kommt in diesem Kontext häufig ein Mitbestimmungsrecht zu, mit dem dieser unternehmensseitige Initiativen beeinflussen, aber auch verzögern oder gar verhindern kann.

Der folgende Beitrag wirft ein Schlaglicht auf die Rolle des Betriebsrats bei der Umsetzung von ESG-Konzepten.

Nachhaltige Unternehmenspolitik und -strategie – Kein Fall der betrieblichen Mitbestimmung!

Zunächst: Geht es um unternehmerische Entscheidungen zur Ausrichtung eines Unternehmens nach ESG-Kriterien, steht dem Betriebsrat im Grundsatz – mit Ausnahme eng umgrenzter Ausnahmefälle, deren Bedeutung äußerst gering ist – kein Beteiligungsrecht zu. Der Kernbereich der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit, der z.B. erfasst ist, wenn eine Bank entscheidet, fortan nur noch nachhaltige Fonds anzubieten oder ein Automobilhersteller seine Produktion auf E-Autos umstellt, ist mitbestimmungsfrei. Entsprechende Entscheidungen sind stattdessen regelmäßig – sofern vorhanden – mit dem Aufsichtsrat zu beraten. Mitbestimmungsrechte kann der Betriebsrat in diesem Bereich insbesondere auch nicht aus den §§ 111 ff. BetrVG herleiten, die Regelungen zu Betriebsänderungen enthalten. Diese fordern nämlich einen konkreten Maßnahmenbezug. Eine sog. „anlasslose Mitbestimmung“ ist gerade nicht erfasst.

Konkrete Maßnahmen zur Umsetzung von ESG-Konzepten: Beispiele betrieblicher Mitbestimmung

Hingegen ist der Betriebsrat regelmäßig in Bezug auf zahlreiche konkrete, betriebsbezogene Maßnahmen zur Umsetzung von ESG-Konzepten zu beteiligen.

Das gilt bereits für relativ niedrigschwellige Regelungen:

Werden beispielsweise in der Kantine vegane Gerichte in den Speiseplan aufgenommen oder sollen Konzepte zur Vermeidung von Plastikgeschirr und Einweg-Kaffeebechern umgesetzt werden, kann dies etwa bereits die Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Verwaltung von Sozialeinrichtungen gem. § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG auslösen.

Social

Arbeitsrechtler spricht im Kontext von ESG auf den ersten Blick vor allem der Buchstabe „S“ (Social) an. Tatsächlich spielen Aspekte wie

  • die Sicherstellung hoher Standards bei Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG), 
  • die Förderung und Sicherstellung von Chancengleichheit und Vielfalt, etwa durch Quoten (§ 92 Abs. 3 S. 1 BetrVG), spezielle Förderprogramme (§ 92 Abs. 3 BetrVG), Entgelttransparenz (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG,) und Vereinbarkeitslösungen durch flexible Arbeitszeitmodelle (§ 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG), Sabbaticals (§ 87 Abs. 1 Nr. 2, 5 BetrVG), Lebensarbeitszeitkonten (§ 87 Abs. 1 Nr. 1, 2, 6 BetrVG) und New Work-Aspekte (mobiles Arbeiten, Homeoffice, Open Space-Konzepte, BYOD, etc.) (§ 87 Abs. 1 Nr.  1, 6, 14 BetrVG),
  • die Implementierung von ESG-Konzepten in Versorgungssystemen und entsprechenden Anlagekonzepten und
  • ganz generell die Gewährung fairer Arbeitsbedingungen,

in der Personalarbeit eine ganz entscheidende Rolle und unterliegen ganz überwiegend der zwingenden Mitbestimmung gem. § 87 Abs. 1 BetrVG.

Governance

Aber auch den Buchstaben „E“ und „G“ kommt im Arbeitsrecht eine erhebliche Bedeutung zu:

Unter das Stichwort „Governance“ fallen etwa

  • die Verankerung von Nachhaltigkeit auf allen Ebenen, insbesondere der Führungsebene, beispielsweise durch die Einführung nachhaltig geprägter Vergütungsstrukturen und -modelle (§ 87 Abs. 1 Nr. 10, 11 BetrVG), sowie
  • die Sicherstellung von Compliance, Risikomanagement und die Verhinderung von Korruption, z.B. durch die Etablierung eines funktionierenden Whistleblowingsystems (§ 87 Abs. 1 Nr. 1, 6 BetrVG),

die ebenfalls der zwingenden Mitbestimmung unterliegen.

Environmental 

Der Begriff „Environmental“ erfasst beispielsweise die mitbestimmungspflichtige Einführung von Konzepten zum Umweltschutz durch

  • Maßnahmen und Policies zu Homeoffice (§ 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG), papierlosem Büro (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG), Vermeidung von Abfall etwa durch die Abschaffung von Einweggeschirr (§ 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG) oder
  • die Förderung einer nachhaltigen Mobilität durch Modelle zum E-Bike-Leasing (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG) oder die Gewährung von Jobtickets (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG).

Tatsächlich hebt das Betriebsverfassungsgesetz den Umweltschutz eigens an zahlreichen Stellen besonders hervor und normiert für diesen Bereich eigene Rechte und Pflichten des Betriebsrats. Die Rede ist vom „betrieblichen Umweltschutz“. Der Begriff des betrieblichen Umweltschutzes ist in § 89 Abs. 3 BetrVG legaldefiniert und erfasst alle personellen und organisatorischen Maßnahmen sowie alle die betrieblichen Bauten, Räume, technische Anlagen, Arbeitsverfahren, Arbeitsabläufe und Arbeitsplätze betreffenden Maßnahmen, die dem Umweltschutz dienen.

  • Gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG ist es die Aufgabe des Betriebsrats, die Maßnahmen des betrieblichen Umweltschutzes zu fördern. Gem. § 89 Abs. 1 S. 1 BetrVG hat sich der Betriebsrat darüber hinaus dafür einzusetzen, dass die Vorschriften über den betrieblichen Umweltschutz durchgeführt werden. Diese Einsatzpflicht konkretisiert den allgemeinen § 80 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG.
  • Zudem hat der Arbeitgeber gem. § 89 Abs. 2 S. 1 BetrVG den Betriebsrat auch bei allen im Zusammenhang mit dem betrieblichen Umweltschutz stehenden Besichtigungen und Fragen hinzuzuziehen und ihm unverzüglich die den betrieblichen Umweltschutz betreffenden Auflagen und Anordnungen der zuständigen Stellen mitzuteilen.
  • Wichtig ist, dass das Betriebsverfassungsgesetz im Bereich des betrieblichen Umweltschutzes gerade kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht vorsieht. Der Katalog des § 87 Abs. 1 BetrVG erwähnt den betrieblichen Umweltschutz gerade nicht. Folglich kann der Betriebsrat den Abschluss einer Betriebsvereinbarung auch nicht forcieren. Es besteht jedoch die Möglichkeit des Abschlusses einer freiwilligen Betriebsvereinbarung (§ 88 Nr. 1a BetrVG).
  • Zudem wird dem Wirtschaftsausschuss gem. § 106 Abs. 3 Nr. 5a BetrVG ein Beratungsrecht im Bereich des betrieblichen Umweltschutzes eingeräumt. Der Wirtschaftsausschuss ist ein Hilfsorgan des Betriebsrats, der die Aufgabe hat, wirtschaftliche Angelegenheiten mit dem Unternehmer zu beraten und den Betriebsrat zu unterrichten.

Das Betriebsverfassungsgesetz normiert für den Betriebsrat im Bereich des betrieblichen Umweltschutzes somit eine Vielzahl von konkreten Rechten und Pflichten. Diese sind auf den ersten Blick nicht ebenso ersichtlich wie die Regelungen zur zwingenden Mitbestimmung aus § 87 Abs. 1 BetrVG. Dennoch sollten sie ebenfalls nicht vernachlässigt werden.

Fazit und Handlungsempfehlung: Was müssen Unternehmen nun beachten

Der Betriebsrat nimmt im Bereich der Umsetzung von ESG-Konzepten insgesamt eine tragende Rolle ein. 
Die zuvor genannten Beispiele gewähren lediglich einen allerersten Einblick in die Anwendungsfälle der betrieblichen Mitbestimmung. Darüber hinaus sind unzählige weitere Fallgestaltungen denkbar. Der Kreativität im Bereich ESG sind kaum Grenzen gesetzt.

Unternehmen sollten daher zusammenfassend zwei wesentliche Aspekte beachten:

Erstens sollte bei der tatsächlichen Umsetzung von ESG-Konzepten und konkreten Maßnahmen stets im Einzelfall geprüft werden, ob Beteiligungsrechte des Betriebsrats bestehen. Nicht nur existieren insbesondere im Bereich des betrieblichen Umweltschutzes zahlreiche Regelungen, die Rechte und Pflichten des Betriebsrats festlegen. Auch weitere Maßnahmen sind vor allem aufgrund der Regelungen des § 87 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig.

Zweitens ist im Zusammenhang mit der Umsetzung stets auch der zeitliche Faktor im Blick zu behalten: Denn die betriebliche Mitbestimmung kann mitunter ganz erhebliche zeitliche Verzögerungen in der Implementierung von Maßnahmen und Konzepten bedingen: In Abhängigkeit von der Komplexität der in Rede stehenden Regelungsfragen und der Güte der Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretern kann schon die Umsetzung einzelner Maßnahmen – und erst recht die Umsetzung ganzer Maßnahmenpakete – mitunter mehrere Verhandlungsrunden in Anspruch nehmen und häufig sogar den Weg über die Einigungsstelle erforderlich machen. Selbst noch so sinnvolle Ideen und Konzepte können daher oftmals nicht einfach „von heute auf morgen“ umgesetzt werden. 

Auf dem Weg eines Unternehmens in eine nachhaltige Zukunft ist der Betriebsrat mithin ein stetiger Begleiter.

 

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