Skip to content

Das Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes – Neuerungen für Arbeitgeber

Am 13. Juni 2023 ist das „Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes“ verkündet worden, das zum Teil sofort, zum Teil mit Wirkung ab dem 1. Januar 2024 in Kraft tritt. Es hat zum Ziel, mehr Menschen mit Behinderung in reguläre Arbeit zu bringen, mehr Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen in Arbeit zu halten und zielgenauere Unterstützung für Menschen mit Schwerbehinderungen zu ermöglichen. Nicht nur vor dem Hintergrund des hohen Fachkräftebedarfs sei es nach Ansicht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales geboten, Menschen mit Behinderungen darin zu unterstützen, einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können – vor allem für eine inklusive Gesellschaft sei es entscheidend, dass Manschen mit Behinderungen die Möglichkeit haben, selbstbestimmt und gleichberechtigt am Arbeitsleben teilzuhaben. Das Gesetz sieht dazu eine Reihe von Maßnahmen, verstreut über verschiedene Sozialgesetzbücher und Nebengesetze, vor. Im Fokus dieses Beitrages stehen dabei die Änderungen für den Arbeitgeber1 bei der Ausgleichsabgabe: 

Hintergrund des Gesetzes

Hintergrund des Gesetzes ist die Vereinbarung von SPD, BÜNDNIS 90/Die Grünen und FDP in ihrem Koalitionsvertrag 2021 – 2025, wonach unter der tragenden Zielsetzung von „Respekt, Chancen und sozialer Sicherheit in der modernen Arbeitswelt“ ein Schwerpunkt auf die Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Behinderungen“ gelegt werden solle. Die Koalition hatte dabei die zur Erreichung des Zieles geplanten Maßnahmen bereits sehr konkret umrissen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) erarbeitete Ende 2022 einen Referentenentwurf, der bereits im Frühjahr 2023 im Bundesrat und im Bundestag beraten und nunmehr am 13. Juni 2023 als Gesetz verkündet wurde.

Die neuen Maßnahmen zur Förderung der Inklusion 

Zur Erreichung der oben genannten Ziele sieht das Gesetz im Wesentlichen Folgendes vor: 

  • Erhöhung der Ausgleichsabgabe für Arbeitgeber, die trotz Beschäftigungspflicht keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen („vierte Staffel“), für kleinere Arbeitgeber sollen wie bisher Sonderregelungen gelten; im Gegenzug Entfall des Ordnungswidrigkeitstatbestandes,
  • Konzentration der Mittel aus der Ausgleichsabgabe auf die Förderung der Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, 
  • Einführung einer Genehmigungsfiktion für Anspruchsleistungen des Integrationsamtes: Vollständig an das Integrationsamt übermittelte Anträge gelten sechs Wochen nach Eingang ohne Bescheid als genehmigt (§ 185 Abs. 9 SGB IX),
  • Aufhebung der Deckelung für den Lohnkostenzuschuss auf höchstens 40% der monatlichen Bezugsgröße beim Budget für Arbeit (§ 61 Abs. 2 S. 2 SGB IX), 
  • Neuausrichtung des Sachverständigenbeirates Versorgungsmedizinische Begutachtung.

Die Ausgleichsabgabe

§ 160 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) sieht vor, dass Arbeitgeber für jeden unbesetzten Pflichtarbeitsplatz für schwerbehinderte Menschen nach § 154 SGB IX eine Ausgleichsabgabe entrichten, solange sie die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen nicht beschäftigen.

  • Pflichtarbeitsplatz für schwerbehinderte Menschen: Nach § 154 SGB IX haben Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen (im Sinne des § 156 SGB IX) auf wenigstens 5% der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Für kleinere Arbeitgeber mit weniger als 60 bzw. weniger als 40 zu berücksichtigenden Arbeitsplätzen gelten Sonderregelungen.
  • Anzeigepflichten und Ermittlung der Beschäftigtenzahl: Zur Feststellung der Beschäfti-gungspflicht sind alle Arbeitsplätze im Direktionsbereich ein und desselben Arbeitgebers zusammenzufassen, unabhängig davon, ob sie über mehrere Betriebe verteilt sind oder nicht. Die Arbeitgeber haben der für ihren Sitz zuständigen Agentur für Arbeit einmal jährlich bis spätestens zum 31. März für das vorangegangene Kalenderjahr, aufgegliedert nach Monaten, die Daten anzuzeigen, die zur Berechnung des Umfangs der Beschäftigungspflicht, zur Überwachung ihrer Erfüllung und der Ausgleichsabgabe notwendig sind, § 163 Abs. 2 SGB IX.
  • Höhe der Ausgleichsabgabe: Wird die Beschäftigungspflicht nicht oder nicht vollständig erfüllt, sind Arbeitgeber verpflichtet, eine Ausgleichsabgabe zu zahlen. Dabei berechnet sich die Ausgleichsabgabe in Abhängigkeit von der jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote und betrug bislang je unbesetztem Pflichtarbeitsplatz mindestens EUR 140 und maximal EUR 360. 

NEU: Anhebung für Null-Beschäftiger auf EUR 720

Die Ausgleichabgabe wird nunmehr für Arbeitgeber, die trotz Beschäftigungspflicht keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, sogenannte Null-Beschäftiger, erhöht. Grund ist, dass die Zahl der Null-Beschäftiger trotz verschiedener Initiativen und Programme gemäß dem Referentenentwurf vom 24. November 2022 unannehmbar hoch sei. Noch immer würden etwa 45.000 beschäftigungspflichtige Arbeitgeber (also rund ein Viertel aller beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber) bundesweit keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen. Gleichzeitig sei die Zahl der von Arbeitslosigkeit betroffenen schwerbehinderten Menschen nach wie vor überdurchschnittlich hoch.

Daher wird eine weitere (vierte) Staffel für die Beschäftigungsquote „null“ neu eingeführt. Null-Beschäftiger sollen eine doppelt so hohe Ausgleichsabgabe zahlen, wie diejenigen Arbeitgeber, die wenigstens in geringem Maße schwerbehinderte Menschen beschäftigen und damit zum Ausdruck bringen, dass sie sich zumindest teilweise mit dem Ziel der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen identifizieren. Die vierte Staffel für die Beschäftigungsquote null setzt auf dem derzeitigen Höchstsatz von EUR 360 auf und beträgt nunmehr EUR 720.

Die vierte Staffel wird mit Wirkung zum 1. Januar 2024 eingeführt und gilt für Arbeitsplätze, die ab dem 1. Januar 2024 unbesetzt sind. Sie ist erstmals zum 31. März 2025 zu zahlen, wenn die Ausgleichsabgabe für das Jahr 2024 fällig wird.

Übernahme der bereits geltenden Anhebung der übrigen Abgabebeträge auf EUR 140 – 360 in den Gesetzeswortlaut

Zudem wurde nunmehr im Gesetzeswortlaut des § 160 Abs. 2 SGB IX die Anpassung der Ausgleichsabgabesätze durch die Bekanntmachung des BMAS vom 19. November 2020 abgebildet, die für Arbeitsplätze gelten, die ab dem 1. Januar 2021 unbesetzt sind (BAnz AT 30.11.2020 B1). 

Im Ergebnis ergibt sich für die Ausgleichsabgabe je unbesetztem Pflichtarbeitsplatz damit die folgende Staffel: 

  • EUR 140/Monat bei einer Beschäftigungsquote von 3% – 5%;
  • EUR 240/Monat bei einer Beschäftigungsquote von 2% bis weniger als 3%;
  • EUR 360/Monat bei einer Beschäftigungsquote von weniger als 2%;
  • EUR 720 /Monat bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote von 0 (ab 1. Januar 2024)

Für kleinere Arbeitgeber mit weniger als 60 bzw. weniger als 40 zu berücksichtigenden Arbeitsplätzen gelten wie bisher Sonderregelungen, die geringere Höhen der Ausgleichsabgabe vorsehen. Allerdings wird auch für diese mit Wirkung ab dem 1. Januar 2024 eine neue Abgabe für Null-Beschäftiger eingeführt: 

  • Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich weniger als 60 zu berücksichtigenden Arbeitsplätzen: EUR 140/Monat bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigung von weniger als zwei schwerbehinderten Menschen; EUR 245/Monat bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigung von weniger als einem schwerbehinderten Menschen; EUR 410/Monat bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigung von null schwerbehinderten Menschen.
  • Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich weniger als 40 zu berücksichtigenden Arbeitsplätzen: EUR 140/Monat bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigung von weniger als einem schwerbehinderten Menschen; EUR 210/Monat bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigung von null schwerbehinderten Menschen.

Wegfall des Ordnungswidrigkeitentatbestandes

Sah § 238 Abs. 1 Nummer 1 SGB IX zusätzlich zur Ausgleichsabgabe bislang noch eine Geldbuße in Höhe von bis zu EUR 10.000,00 für denjenigen Arbeitgeber vor, der entgegen § 154 Abs. 1 S. 1 oder S. 3 SGB IX vorsätzlich oder fahrlässig die vorgeschriebene Quote schwerbehinderter Menschen nicht beschäftigte, entfällt dieser Ordnungswidrigkeitstatbestand nunmehr. § 238 Abs. 1 Nummer 1 wird mit Wirkung ab dem 1. Januar 2024 aufgehoben. 

Beachten: § 238 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB IX finden weiter Anwendung! 

Zu beachten ist allerdings, dass die übrigen Ordnungswidrigkeitstatbestände, insbesondere im Zusammenhang mit dem Zusammenwirken des Arbeitgebers mit der Bundesagentur für Arbeit und den Integrationsämtern, weiterbestehen. So sind vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen die Anzeigepflichten nach § 163 Abs. 2 ebenso weiter bußgeldbewährt, wie das vorsätzliche oder fahrlässige Unterlassen oder nicht ordnungsgemäße Führen des Verzeichnisses nach § 163 Abs. 1 SGB IX und ähnlicher in § 238 Abs. 1 SGB IX näher spezifizierter Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers. Die Verstöße können hier weiter mit einer Geldbuße von bis zu EUR 10.000 geahndet werden. 

Was fehlt?

Während der Koalitionsvertrag noch vorsah das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) als Instrument auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite stärker mit dem Ziel zu etablieren, es nach einheitlichen Qualitätsstandards flächendeckend verbindlich zu machen (Beispiel „Hamburger Modell“), und der erste Referentenentwurf vom 4. November 2022 zumindest noch einen Anspruch auf stufenweise Wiedereingliederung vorsah, ist beides in dem nun verabschiedeten Gesetz nicht enthalten. Insbesondere der Verzicht auf die Verankerung eines individualrechtlichen Anspruchs auf ein BEM im Gesetz überrascht, hatte doch das Bundesarbeitsgericht deutlich darauf hingewiesen, dass § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX eben keinen solchen Anspruch auf Einleitung und Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements für betroffene Arbeitnehmer begründe (BAG Urteil v. 7. September 2021 – 9 AZR 571/20). Das BEM bleibt damit ein Verfahren, das der Arbeitgeber durchführen kann (und sollte, will er nicht die Beweislastnachteile im ggf. nachfolgenden Kündigungsschutzprozess tragen). Er kann aber auch einfach abwarten, ob der Arbeitnehmer überhaupt wiederkommt, helfen muss er dabei nicht. Wie dies mit dem Ziel des dauerhaften Erhalts des Arbeitsverhältnisses mit den Mitteln von Prävention und Rehabilitation zu vereinbaren ist, erschließt sich einem nicht. 

Auswirkungen in der Praxis

Arbeitgeber müssen ab 1. Januar 2024 bei Beschäftigung gar keiner schwerbehinderten Menschen eine erhöhte Ausgleichsabgabe von bis zu EUR 720 pro Monat und nicht besetztem Pflichtarbeitsplatz zahlen. Im Gegenzug entfällt dafür die Möglichkeit der Verhängung einer Geldbuße, falls ein Arbeitgeber der Beschäftigungspflicht gar nicht oder nur unzureichend nachkommt. 

Fazit

Ob die weitere Erhöhung der Ausgleichsabgabe tatsächlich geeignet ist, mehr schwerbehinderte Menschen in Arbeit zu bringen, wird sich zeigen müssen. Eventuell könnten es auch weniger die damit einhergehenden – oft überschaubaren – Kosten sein, die den Arbeitgeber zögern lassen, einen schwerbehinderten Menschen einzustellen, als vielmehr die Tatsache, dass dieser, wenn er erst einmal da ist, besonderen Kündigungsschutz genießt. Und dies, anders als die sonstigen geschützten Arbeitnehmergruppen, nicht nur vorübergehend z.B.  für die Dauer ihres Amtes, einer Schwangerschaft oder während der Elternzeit, sondern „für immer". Vor diesem Hintergrund wird womöglich auch diese an sich wohl richtige Maßnahme allein weiter keinerlei Veränderung herbeiführen.

Fußnoten

1Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird durchgehend das generische Maskulinum verwendet; es werden jedoch ausdrücklich alle Geschlechteridentitäten hiervon erfasst.

Weitere relevante Expertise