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11. GWB-Novelle tritt in Kraft und bringt bedeutende Neuerungen

Heute ist mit der 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (11. GWB-Novelle) die nach Äußerungen der Bundesregierung größte Reform des deutschen Wettbewerbsrechts seit Ludwig Erhard in Kraft getreten. Sie bringt drei wesentliche Neuerungen:

  1. Ein „New Competition Tool“: Ab sofort kann das Bundeskartellamt (BKartA) im Anschluss an eine Sektoruntersuchung Abhilfemaßnahmen (darunter Entflechtungen als ultima ratio) zur Beseitigung einer „erheblichen und fortwährenden Störung des Wettbewerbs“ anordnen – und das selbst dann, wenn der Adressat nicht gegen Kartellrecht verstoßen hat. Damit wird das deutsche Kartellrecht, neben den traditionellen Regeln über das Kartellverbot, den Marktmachtmissbrauch und die Fusionskontrolle, auf eine neue „vierte Säule“ gestellt. Die Änderung adressiert Situationen, in denen eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs nicht auf kartellrechtswidriges Verhalten, sondern auf gestörte Marktstrukturen (insbesondere enge Oligopole) zurückzuführen ist.
  2. DMA-Durchsetzung: Die Reform unterstützt außerdem die effektive Durchsetzung des Digital Markets Act (DMA). Das BKartA kann nun Untersuchungen wegen möglicher DMA-Verstöße durchführen und die Europäische Kommission (KOM) bei der öffentlichen Durchsetzung des DMA unterstützen. Daneben werden Regeln für die private Durchsetzung des DMA in Deutschland etabliert.
  3. Gewinnabschöpfung: Die 11. GWB-Novelle erleichtert dem BKartA die Abschöpfung von Gewinnen aufgrund kartellrechtlicher Verstöße. Es wird widerleglich vermutet, dass der wettbewerbswidrige Gewinn 1 % des Unternehmensumsatzes mit den von der Zuwiderhandlung betroffenen Waren oder Dienstleistungen beträgt.

Sektoruntersuchungen mit „Klauen und Zähnen“

Bislang konnte das BKartA zwar zeitlich unbeschränkt Sektoruntersuchungen durchführen, war jedoch nicht befugt, auf Grundlage seiner Untersuchungsergebnisse unmittelbar Abhilfemaßnahmen zu ergreifen. Die 11. GWB-Novelle ändert dies: Einerseits begrenzt sie Sektoruntersuchungen auf in der Regel 18 Monate, andererseits kann das BKartA anschließend direkt eingreifen. Die neue Regelung weist Parallelen zu vergleichbaren Instrumenten der Wettbewerbsbehörden in anderen Staaten auf, beispielsweise der britischen Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde (CMA).

Absenkung der Schwellenwerte für die Auferlegung von Fusionsanmeldepflichten

Alte Fassung: Das BKartA konnte – als Folge einer Sektoruntersuchung – einem Unternehmen auferlegen, künftige Zusammenschlüsse für einen Zeitraum von drei Jahren anzumelden. Hierfür mussten drei Voraussetzungen kumulativ vorliegen: (i) Der Erwerber erzielte einen weltweiten Umsatz von mehr als EUR 500 Millionen und das Ziel-/Gemeinschaftsunternehmen erzielte einen Umsatz von mehr als EUR 2 Millionen (davon mehr als zwei Drittel im Inland), (ii) es bestanden Anhaltspunkte dafür, dass künftige Zusammenschlüsse den wirksamen Wettbewerb im Inland erheblich behindern könnten, und (iii) der Erwerber hatte in den genannten Wirtschaftszweigen einen Anteil von mindestens 15 % am Angebot oder der Nachfrage von Waren oder Dienstleistungen in Deutschland.

11. GWB-Novelle: Die Gesetzesnovelle senkt diese Schwellenwerte wie folgt deutlich ab: (i) Der Erwerber erzielt einen inländischen Umsatz von mehr als EUR 50 Millionen, während das Zielunternehmen einen inländischen Umsatz von mehr als EUR 1 Million erzielt und (ii) es bestehen Anhaltspunkte dafür, dass künftige Zusammenschlüsse den wirksamen Wettbewerb im Inland in dem oder den betroffenen Wirtschaftszweigen erheblich behindern würden.

Durch den Wegfall der weltweiten Umsatz- sowie der Marktanteilsschwellenwerte beabsichtigt der Gesetzgeber, Unternehmenszusammenschlüsse in kleinen und/oder regionalen Märkten der Kontrolle des BKartA zu unterwerfen. Neu ist zudem, dass das BKartA die Anmeldepflicht bis zu dreimal (für jeweils einen Zeitraum von drei Jahren) verlängern kann

Maßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art

Alte Fassung: Bisher konnte das BKartA auf der Grundlage der Ergebnisse seiner Sektoruntersuchungen nicht direkt eingreifen. Es konnte nur Empfehlungen in seinen Abschlussbericht aufnehmen und/oder mit dem herkömmlichen kartellrechtlichen Instrumentarium Verfahren wegen bestimmter Marktverhaltensweisen einleiten. Das betraf insbesondere wettbewerbswidrige Vereinbarungen und missbräuchliches Verhalten von marktbeherrschenden Unternehmen.

11. GWB-Novelle: Fortan kann das BKartA die nachfolgenden Verfügungen erlassen: (i) Es kann feststellen, dass eine „erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs“ auf dem/den betroffenen Markt/Märkten vorliegt, und (ii) es kann alle Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art vorschreiben, die zur Beseitigung oder Verringerung der „Störung des Wettbewerbs“ erforderlich sind.

Die Verfügungen bedürfen keines vorherigen Kartellrechtsverstoßes. Sie unterliegen jedoch gewissen Beschränkungen: (i) Adressaten können nur Unternehmen sein, die aufgrund ihres Marktverhaltens und ihrer Bedeutung für die Marktstruktur wesentlich zur „Störung des Wettbewerbs“ beitragen, und (ii) sie sind nur zulässig, wenn die herkömmlichen Befugnisse des BKartA voraussichtlich nicht ausreichen, um die „Störung des Wettbewerbs“ wirksam und dauerhaft zu beseitigen.

Diese neue „vierte Säule“ des deutschen Wettbewerbsrechts soll Beeinträchtigungen des Wettbewerbs begegnen, die nicht von kartellrechtswidrigem Marktverhalten (wie z.B. Absprachen oder dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung), sondern von gestörten Marktstrukturen herrühren. Dabei liegt der Fokus auf engen Oligopolen.

Die Gesetzesnovelle nennt (nicht abschließend) vier Beispiele für eine „Störung des Wettbewerbs“: (i) Unilaterale Angebots- oder Nachfragemacht, (ii) Beschränkungen des Marktzutritts oder -austritts, der Kapazitäten oder des Wechsels zu einem anderen Anbieter oder Nachfrager, (iii) gleichförmiges oder koordiniertes Verhalten oder (iv) Abschottung von Einsatzfaktoren oder Kunden durch vertikale Beziehungen.

Bei der Beurteilung der „Störung des Wettbewerbs“ soll das BKartA zudem eine Reihe von strukturellen Kriterien berücksichtigen, die auch für die Bestimmung einer marktbeherrschende Stellung Relevanz haben, etwa die Größe und Finanzkraft der Unternehmen sowie die Marktanteilsverhältnisse und Unternehmensverflechtungen. Außerdem ist zu berücksichtigen, ob es andere Faktoren gibt, die eine „stillschweigende Kollusion“ erleichtern könnten, z.B. Markttransparenz und Homogenität der Güter auf den betroffenen Märkten. Darüber hinaus kann das BKartA nachteilige Marktergebnisse (z.B. höhere oder parallele Preise, geringere Mengen, reduzierte Auswahl, niedrigere Qualität) und Marktverhalten (z.B. deutlich unausgewogene Vertragsbedingungen) sowie Effizienzvorteile (z.B. niedrigere Kosten oder mehr Innovation bei angemessener Beteiligung der Verbraucher) berücksichtigen. Potenziell problematische Szenarien sind stark konzentrierte Märkte, auf denen nur wenige Marktteilnehmer verblieben sind (z.B. aufgrund internen Wachstums, Marktaustritten oder Übernahmen unterhalb der Fusionskontrollschwellen) und/oder die Gefahr einer „stillschweigenden Kollusion“ besteht.

Mögliche verhaltensbezogene Abhilfemaßnahmen sind: (i) Anordnungen der Gewährung des Zugangs zu Daten/Schnittstellen/Netzen, (ii) Vorgaben zu Geschäftsbeziehungen zwischen den Unternehmen auf den betroffenen Märkten oder hinsichtlich bestimmter Formen von Verträgen bzw. Vertragsgestaltungen, (iii) Verpflichtungen zur Etablierung transparenter, diskriminierungsfreier und offener Normen und Standards.

Abhilfemaßnahmen struktureller Art können auch die organisatorische oder buchhalterische Trennung verschiedener Unternehmens- oder Geschäftsbereiche umfassen. Wie in Kartellverfahren kann das BKartA auch Verpflichtungszusagen der Unternehmen für bindend erklären.

„Follow-on“-Abhilfemaßnahmen soll das BKartA innerhalb von 18 Monaten nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts über die Sektoruntersuchung anordnen. Vorher hat es eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Rechtsbehelfe gegen Abhilfemaßnahmen haben aufschiebende Wirkung.

Entflechtungsmaßnahmen

Als ultima ratio kann das BKartA (nur) marktbeherrschende Unternehmen und Unternehmen mit „überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ im Sinne des § 19a GWB dazu verpflichten, Unternehmensanteile oder Vermögen zu veräußern, falls: (i) hierdurch die „erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs“ voraussichtlich beseitigt oder erheblich verringert wird und (ii) keine ebenso wirksame, jedoch weniger einschneidende Abhilfemaßnahme zur Verfügung steht. Vor der Verfügung einer Entflechtungsmaßnahme muss das BKartA der Monopolkommission und den obersten Landeskartellbehörden Gelegenheit zur Stellungnahme geben.

Ausgenommen sind Geschäftsbereiche oder Vermögenswerte, deren Erwerb einem deutschen oder einem EU-Fusionskontrollverfahren unterlag (für zehn Jahre nach der Fusionskontrollfreigabe bzw. Ministererlaubnis). Eine Veräußerungspflicht besteht zudem nur dann, wenn der Verkaufserlös mindestens 50 % des von einem vom BKartA beauftragten Wirtschaftsprüfer (auf Basis des Jahresabschlusses vor der Entflechtungsanordnung) ermittelten Werts beträgt. Ist der Verkaufserlös niedriger (aber beträgt mindestens 50 %), steht dem veräußernden Unternehmen eine Ausgleichszahlung in Höhe von 50 % der Differenz (aus Bundesmitteln) zu.

Das Unternehmen darf die verkauften Teile innerhalb von fünf Jahren nicht zurückerwerben, es sei denn, die Marktbedingungen haben sich so wesentlich geändert, dass eine „erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs“ nicht mehr feststellbar ist.

Effektive Durchsetzung des DMA

Ein weiteres Ziel der Reform ist die wirksame Durchsetzung des DMA in Deutschland.

Öffentliche Durchsetzung

DMA-Vorgaben: Grundsätzlich ist die KOM die alleinige Durchsetzungsbehörde. Allerdings können die EU-Mitgliedstaaten zur Unterstützung der KOM ihre nationalen Kartellbehörden zur Durchführung von Untersuchungen auf ihrem Hoheitsgebiet wegen möglicher DMA-Verstöße eines – von der KOM als solchen benannten – Gatekeepers ermächtigen.

11. GWB-Novelle: Diesem Aufruf ist der deutsche Gesetzgeber gefolgt. Künftig wird das BKartA Untersuchungen wegen möglicher Verstöße eines Gatekeepers gegen Art. 5-7 DMA einleiten können. Die Ermittlungsbefugnisse sind dieselben wie in Kartellverwaltungsverfahren. Das BKartA kann also z.B. Auskünfte verlangen und Durchsuchungen durchführen. Es muss der KOM über die Ergebnisse der Untersuchung Bericht erstatten und kann nach Anhörung des Gatekeepers einen Bericht über seine – als vorläufig gekennzeichneten – Ermittlungsergebnisse veröffentlichen. Entscheidungen in der Sache wird aber nur die KOM treffen.

Privatrechtliche Durchsetzung

DMA-Vorgaben: Der DMA regelt die privatrechtliche Durchsetzung seiner Bestimmungen nicht, geht hiervon jedoch aus.

11. GWB-Novelle: Künftig gelten die deutschen Vorschriften zur Erleichterung der privaten Durchsetzung des Kartellrechts weitgehend auch für die private Durchsetzung des DMA. Kläger können daher Schadensersatz- oder Unterlassungsklagen erheben und einstweiligen Rechtsschutz beantragen. Rechtskräftige Entscheidungen der KOM, die einen Verstoß gegen die DMA-Pflichten feststellen, wie auch der bestandskräftige Benennungsbeschluss der KOM, sind für die deutschen Gerichte bindend. Außerdem gilt eine im Vergleich zum allgemeinen Zivilrecht längere (kenntnisabhängige) Verjährungsfrist von fünf Jahren.

Wie bei der privaten Durchsetzung des Kartellrechts sind die deutschen Landgerichte (nicht die Amtsgerichte) für Streitigkeiten zwischen Privatpersonen auf der Grundlage des DMA zuständig. Die Gerichte müssen das BKartA über entsprechende Verfahren informieren. Das BKartA kann als interessierte Partei (amicus curiae) am Verfahren teilnehmen.

Abschöpfung von Gewinnen aus Kartellrechtsverstößen

Schließlich soll die Reform die Befugnis des BKartA stärken, durch Kartellrechtsverstöße erzielte Gewinne eines Unternehmens abzuschöpfen.

Alte Fassung: Für eine Gewinnabschöpfung musste das BKartA bisher nicht nur einen vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstoß gegen das Kartellrecht nachweisen, sondern vor allem den wettbewerbswidrigen Vorteil beziffern. Die Bezifferung erforderte komplexe Berechnungen und führte dazu, dass das BKartA in der Regel von einer Gewinnabschöpfung abgesehen hat.

11. GWB-Novelle: Die neuen Bestimmungen begründen eine widerlegbare Vermutung dafür, dass der Kartellrechtsverstoß einen wirtschaftlichen Vorteil von mindestens 1 % des Inlandsumsatzes mit den betroffenen Waren oder Dienstleistungen im relevanten Zeitraum beträgt. Diese Vermutung gilt ausschließlich für die kartellbehördliche Vorteilsabschöpfung – eine Mindestschadensvermutung oder Rückschlüsse auf die Schadensersatzhöhe bei Kartellverstößen sind ausdrücklich nicht beabsichtigt. Wie nach den bisherigen Regeln beträgt der Abschöpfungszeitraum maximal fünf Jahre. Der Abschöpfungsbetrag ist auf höchstens 10 % des weltweiten Unternehmensumsatzes in dem der Behördenentscheidung vorausgegangenen Geschäftsjahr begrenzt.

Das BKartA kann die Gewinnabschöpfung bis zu sieben Jahre nach Beendigung der Zuwiderhandlung anordnen. Gegenüber der privaten Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen ist die Abschöpfung durch das BKartA, wie bislang, subsidiär.

Bewertung

Die 11. GWB-Novelle bringt einschneidende Veränderungen:

  • Das BKartA erhält nach Abschluss einer Sektoruntersuchung weitreichende Befugnisse zur Anordnung verhaltensbezogener und struktureller Eingriffe, bis hin zu Entflechtungen – unabhängig von der Feststellung einer Kartellrechtsverletzung (ähnlich wie die britische CMA). Trotz einer Nachbesserung des Wortlautes im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens fehlt es an präzisen gesetzlichen Vorgaben oder konkreten Leitlinien, was unter einer „Störung des Wettbewerbs“ zu verstehen ist. Prinzipiell könnte daher jeder durch stabile und/oder oligopolistische Marktbedingungen gekennzeichnete Wirtschaftssektor einer Sektoruntersuchung und möglichen „Follow-on“-Eingriffen des BKartA unterliegen. Empfehlungen der Monopolkommission könnten als Korrektiv zu dieser erheblichen Stärkung der Befugnisse des BKartA dienen.
  • Die Schwellenwerte für die Auferlegung von Fusionskontrollpflichten im Anschluss an eine Sektoruntersuchung sind nun deutlich niedriger. Damit könnten insbesondere externe Wachstumsstrategien auf kleinen und regionalen Märkten, die Gegenstand einer Sektoruntersuchung geworden sind, ins Visier der nationalen Fusionskontrolle geraten.
  • Die Novelle etabliert zudem erstmals ein Regime für die privatrechtliche Durchsetzung des DMA in Deutschland. Angesichts der ausschließlichen Zuständigkeit der Landgerichte und des klägerfreundlichen materiellen Rechts ist zu erwarten, dass sich Deutschland zu einem attraktiven Forum für privatrechtliche Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem DMA entwickeln wird.
  • Schließlich schafft die Gesetzesnovelle (ausschließlich) für den Zweck der behördlichen Abschöpfung wettbewerbswidriger Gewinne eine widerlegbare Vermutung, dass der wirtschaftliche Vorteil aus einer Kartellrechtsverletzung 1 % des Inlandsumsatzes mit den betroffenen Waren oder Dienstleistungen im relevanten Zeitraum beträgt. Da jedoch Schadensersatzansprüche Vorrang haben, bleibt abzuwarten, welche Rolle die Gewinnabschöpfung durch das BKartA tatsächlich spielen wird.

Über den genauen Umfang und die Auswirkungen der 11. GWB-Novelle informiert Sie gern unser deutsches Kartellrechtsteam.

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