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Gesetzentwurf der Bundesregierung - Rechtssicherheit bei der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern?

Der Aufschrei in der arbeitsrechtlichen Praxis war groß als der Bundesgerichthof (BGH) vor mittlerweile mehr als einem Jahr, nämlich am 10. Januar 2023 (AZ 6 StR 133/22) sein Urteil zum Vorwurf der Untreue bei Verstößen gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot für Betriebsratsmitglieder fällte. 

Viele Unternehmen sahen sich in der Folge – zu Recht – veranlasst, die Vergütung ihrer Betriebsratsmitglieder zu überprüfen, für die Zukunft anzupassen und über die Durchsetzung von Rückforderungsansprüchen wegen in der Vergangenheit überzahlter Vergütung wenigstens nachzudenken. Die (Rechts-)Unsicherheit war jedoch groß. Die Bundesregierung hat daher am 1. November 2023 in Klarstellung der aktuellen Rechtslage einen Gesetzesentwurf zur Anpassung der Vorschriften über die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern eingebracht. Ob damit allerdings die gewünschte Klarheit erreicht werden kann, bleibt mehr als fraglich. 

Das Urteil des BGH vom 10. Januar 2023 – 6 StR 133/22

In seinem Urteil vom 10. Januar 2023 hat der BGH klargestellt, dass der Straftatbestand der Untreue (§ 266 Abs. 1 des Strafgesetzbuches - StGB) erfüllt sein kann, wenn ein Vertreter1 einer Aktiengesellschaft die Vergütung eines Betriebsratsmitgliedes unter Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot aus § 78 S. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) übermäßig erhöht. 

Für die Beurteilung, ob ein Verstoß gegen das Begünstigungsverbot gegeben ist, hat der BGH auf die Kriterien des § 37 BetrVG abgestellt und dabei klargestellt, dass eine Bewertung der Betriebsratstätigkeit für Vergütungszwecke ausscheide. Dies gelte auch für im Betriebsratsamt erworbene Qualifikationen, soweit sie nicht im Zusammenhang mit der bisherigen Arbeitstätigkeit stünden. Insbesondere hat der BGH herausgestellt, dass die Heranziehung der Betriebsratstätigkeit für Vergütungszwecke ausscheide und bei der Gehaltsentwicklung nicht auf eine Sonderkarriere des Betriebsratsmitglieds abgestellt werden dürfe, sondern lediglich auf den Karriereweg vergleichbarerer Arbeitnehmer. Der relevante Zeitpunkt für die Bildung der Vergleichsgruppen sei der Zeitpunkt der Amtsübernahme.  

Entwicklung und Ziele des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung

Der Bundesminister für Arbeit und Soziales setzte anlässlich dieses BGH-Urteils im Mai 2023 eine dreiköpfige Kommission „Rechtssicherheit in der Betriebsratsvergütung“, bestehend aus Prof. Dr. Rainer Schlegel, Präsident des BSG, Ingrid Schmidt, Präsidentin des BAG a.D., und Prof. Dr. Gregor Thüsing, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und das Recht der sozialen Sicherheit, Universität Bonn, ein. Die Kommission stellte am 12. Juli 2023 Vorschläge zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes vor (Vorschläge der Kommission „Rechtssicherheit in der Betriebsratsvergütung“). Diese Vorschläge hat die Bundesregierung beinahe wortgleich in ihren Gesetzentwurf vom 1. November 2023 (Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 1. November 2023) übernommen. 

Ziel des Gesetzentwurfes ist es nach dessen Begründung, unter Beibehaltung der bisherigen gesetzlichen Prinzipien negative Folgen für die betriebliche Mitbestimmung auszuschließen, ohne dabei die Aufklärung und Ahndung von Verstößen gegen das Begünstigungsverbot einzuschränken. Der Gesetzesentwurf ergänzt die bestehenden § 37 Abs. 4 und § 78 S. 2 BetrVG. 

Konkretisierung der Vergleichsgruppenbildung in § 37 Abs. 4 BetrVG

Dem neuen § 37 Abs. 4 BetrVG sollen die folgenden Sätze hinzugefügt werden: 

Zur Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer nach Satz 1 ist auf den Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamts abzustellen, soweit nicht ein sachlicher Grund für eine spätere Neubestimmung vorliegt.

Arbeitgeber und Betriebsrat können in einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer regeln. Die Konkretisierung der Vergleichbarkeit in einer solchen Betriebsvereinbarung kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden; Gleiches gilt für die Festlegung der Vergleichspersonen, soweit sie einvernehmlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erfolgt und in Textform dokumentiert ist.

§ 37 Abs. 4 BetrVG sieht (bisher und auch in Zukunft) vor, dass das Entgelt von Betriebsratsmitgliedern einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden darf als das Entgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Kritisiert wurde in der Vergangenheit insbesondere, dass in Ermangelung ausreichend konkreter, gesetzlicher Vorgaben die Bestimmung der Vergleichsgruppen erhebliche Rechtsunsicherheit mit sich brachte. Unklarheit bestand insbesondere über den maßgeblichen Zeitpunkt für die Bildung der Vergleichsgruppe. 

Durch die Hinzufügung der oben genannten drei Sätze zu § 37 Abs. 4 BetrVG will der Gesetzgeber in Übereinstimmung mit dem Vorschlag der Kommission Abhilfe schaffen. Zunächst wird der relevante Zeitpunkt für den Vergleich mit anderen Arbeitnehmern in Einklang mit der Rechtsprechung konkretisiert. Maßgeblich ist hierfür der Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamtes (so zuletzt BAG v. 23. November 2022 – 7 AZR122/22). Dies soll gleichermaßen für freigestellte wie auch nicht-freigestellte Betriebsratsmitglieder gelten. Eine spätere Neubestimmung der Vergleichsgruppe ist danach nur möglich, wenn ein sachlicher Grund vorliegt. Dies kann beispielsweise ein beruflicher Aufstieg durch Abschluss eines entsprechenden Änderungsvertrages zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsratsmitglied sein (siehe dazu das oben genannte BAG-Urteil). 

Darüber hinaus wird den Betriebsparteien ermöglicht, für die Bildung der Vergleichsgruppen nach § 37 Abs. 4 BetrVG durch Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Feststellung vergleichbarerer Arbeitnehmer zu regeln. Bei der Ausgestaltung der Betriebsvereinbarung kommt den Betriebsparteien ein Beurteilungsspielraum zu. Dieser ist auf Basis der bisher in der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze unter Orientierung am gesetzlichen Leitbild auszufüllen. Danach sind vergleichbar diejenigen Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt der Amtsübernahme ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausgeführt haben wie der Amtsträger und dafür in gleicher Weise wie dieser fachlich und persönlich qualifiziert waren (ständige Rechtsprechung, zuletzt BAG, Urt. v. 23. November 2022 - 7 AZR 122/22, Rn. 28; BAG, Urteil vom 18. Januar 2017 - 7 AZR 205/15, Rn. 16). Die Überprüfbarkeit dieser Regelung ist dabei auf grobe Fehlerhaftigkeit beschränkt, wenn dies einvernehmlich von den Betriebsparteien beschlossen wurde und in Textform festgelegt ist. Grobe Fehlerhaftigkeit liegt danach nach der Begründung des Regierungsentwurfs vor, wenn sie sich nicht an den Kriterien der Rechtsprechung orientiert, sachwidrige weitere Kriterien benennt, wesentliche Kriterien unberücksichtigt lässt oder diese Kriterien im Verhältnis zueinander eindeutig unzureichend oder mit eindeutig verfehlter Gewichtung berücksichtigt. 

Klarstellung in § 78 BetrVG

§ 78 BetrVG wird um einen neuen Satz 3 ergänzt: 

Eine Begünstigung oder Benachteiligung liegt im Hinblick auf das gezahlte Arbeitsentgelt nicht vor, wenn das Mitglied einer in Satz 1 genannten Vertretung in seiner Person die für die Gewährung des Arbeitsentgelts erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt.

In § 78 S. 2 BetrVG ist ein allgemeines Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot normiert, das sich anders als § 37 Abs. 4 BetrVG nicht allein auf das Entgelt der Betriebsratsmitglieder, sondern darüber hinaus auch auf die allgemeine berufliche Entwicklung des Betriebsratsmitglieds bezieht. So darf etwa eine langjährige Freistellung zur Ausübung des Betriebsratsamtes das Betriebsratsmitglied nicht in seiner beruflichen Entwicklung benachteiligen. Nach den durch die Rechtsprechung weitestgehend konkretisierten Voraussetzungen darf eine Entgelterhöhung aufgrund einer hypothetischen Karriereentwicklung vorgenommen werden (fiktiver Beförderungsanspruch aus § 611a BGB i.V.m. § 78 S. 2 BetrVG). Das Begünstigung- und Benachteiligungsverbot bedarf dabei jedoch weiterer Konkretisierungen im Hinblick auf die hypothetische Karriereentwicklung, um sachwidrige Begünstigungen oder berufliche Nachteile zu vermeiden. 

Dem kommt der Gesetzentwurf durch die Hinzufügung eines neuen Satzes 3 zu § 78 BetrVG nach. In diesem wird klargestellt, dass im Hinblick auf das Entgelt von Betriebsratsmitgliedern dann keine Begünstigung oder Benachteiligung vorliegt, wenn das Betriebsratsmitglied die für die Gewährung der Vergütung erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung der Vergütung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt.

Die Begründung zum Gesetzentwurf stellt klar, dass in Zukunft wichtig ist, dass auch der fiktive Beförderungsanspruch stets an die Besetzung einer konkreten Stelle anknüpft. Eine Begünstigung soll typischerweise dann nicht vorliegen, wenn der Betriebsrat über die notwendigen Qualifikationen nach dem Stellenprofil verfügt und ein anderer Bewerber aus sachlichen Gründen nicht vorzugswürdig ist. Soweit also in der privaten Wirtschaft der Arbeitgeber eine ermessensfehlerfreie, das heißt plausible und nachvollziehbare Entscheidung unter zutreffender Bewertung hypothetischer Gehalts- oder Karriereentwicklung trifft, liegt darin in der Regel keine Begünstigung. 

Der Entwurf stellt klar, dass es auch sachlich gerechtfertigt sein kann, bei einer solchen Stellenbesetzung die durch und während der Amtstätigkeit erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Qualifikationen zu berücksichtigen. Die individuelle Lernkurve des Betriebsrats soll somit in Zukunft nicht unberücksichtigt bleiben. Die Gesetzesbegründung nimmt auf die aus den Volkswagen-Urteilen bekannten Formulierungen Bezug, wonach nicht zu berücksichtigen sei, dass das Betriebsratsmitglied mit Vorständen und Managern „auf Augenhöhe verhandelt“ oder „komplexe Aufgaben“ wahrnimmt oder „in unternehmerische Entscheidungskomplexe eingebunden“ ist. Dies knüpfe in unzulässiger Weise an die Betriebsratstätigkeit an. 

Weiter stellt die Entwurfsbegründung klar, dass es einen Anspruch aus § 78 S. 2 BetrVG auf eine höhere Vergütung nicht allein wegen eines Kompetenzzuwachses auf Seiten des Betriebsratsmitglieds geben kann. Ein Betriebsratsmitglied kann danach nur befördert werden, wenn es eine entsprechende freie Stelle gibt, deren Anforderungsprofil es erfüllt. Der Bezug zu einer konkreten, freien Stelle muss also stets gegeben sein – auch bei freigestellten Betriebsratsmitgliedern. 

Bedeutung für die Praxis

Der Gesetzentwurf normiert im Wesentlichen das, was das BAG in seiner bisherigen Rechtsprechung bereits vertreten hat und in der Praxis auch bisher schon Maßstab gewesen sein sollte: Das Entgelt des Betriebsratsmitglieds darf nicht hinter der beruflichen Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer zurückbleiben. Für die Bildung der Vergleichsgruppe ist dabei der Zeitpunkt der Amtsübernahme maßgeblich. 

In der Praxis empfehlenswert ist es sicher, die Vergleichsgruppe wie im Gesetzentwurf vorgesehen durch Betriebsvereinbarung festzulegen und dadurch mehr Rechtssicherheit für die Beteiligten zu schaffen. Durch die Einigungsstelle erzwingbar ist eine solche Betriebsvereinbarung jedoch nicht, so dass es bei einer rein freiwilligen Regelung bleibt. Die Überprüfbarkeit allein auf grobe Fehlerhaftigkeit der Betriebsvereinbarung und der damit gegebene weite Spielraum der Betriebsparteien sollte jedoch Anreiz zum Abschluss sein. 

Für einen unmittelbaren (fiktiven) Beförderungsanspruch des Betriebsratsmitglieds unmittelbar aus § 611a BGB i.V.m. § 78 S. 2 BetrVG muss – wie auch bisher – die Regelung gelten: keine höhere Vergütung ohne mehr Verantwortung. Allein ein etwaiger Kompetenzzuwachs des Betriebsratsmitglieds reicht nicht aus. Die Qualifikationsanforderungen an eine höher dotierte Stelle müssen erfüllt und ein anderer Bewerber aus sachlichen Gründen nicht vorzugswürdig sein. Es muss einen konkreten Stellenbezug geben, die konkrete Stelle muss außerdem frei sein und der Arbeitgeber bei der Stellenbesetzung eine ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung getroffen haben. Dies bedeutet unter Umständen, dass der Arbeitgeber eine Stelle doppelt besetzen muss, wenn das freigestellte Betriebsratsmitglied die Freistellung nicht aufgeben will, die Stelle aber dennoch annimmt. 

Wirklich neu ist im Rahmen des § 78 BetrVG lediglich die Klarstellung, dass bei einer Entscheidung über eine Stellenbesetzung auch die durch und während der Amtstätigkeit erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Qualifikationen zu berücksichtigen sein sollen. Spannend wird es dann allerdings bei der Frage, welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Qualifikationen das Betriebsratsmitglied durch die Amtstätigkeit erworben hat und folglich berücksichtigt werden dürfen; und welche dieser Kompetenzen wegen einer unzulässigen Anknüpfung an die Betriebsratstätigkeit gerade nicht zu berücksichtigen sind. Ob mit den vorgeschlagenen Ergänzungen der bisherigen Regelungen im Betriebsverfassungsgesetz die gewünschte Klarheit geschaffen werden kann, erscheint angesichts des weiten Auslegungsspielraums mehr als zweifelhaft. Es bleibt nun ohnehin abzuwarten, wann die Gesetzesänderung in Kraft tritt. Das in der Praxis so relevante Thema der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern wird jedoch auch nach der geplanten Änderung weiterhin mit vielen Unsicherheiten behaftet bleiben. 

Fußnoten

1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird durchgehend das generische Maskulinum verwendet; es werden jedoch ausdrücklich alle Geschlechteridentitäten hiervon erfasst.

 

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