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Wegfall des "gelben Scheins" ab Januar 2023

Am 1. Januar 2023 wird die sog. elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung („eAUB“) flächendeckend eingeführt. Die Einführung hat sich aufgrund der COVID-19 Pandemie und den hiermit einhergehenden Herausforderungen für das Gesundheitswesen um 6 Monate verschoben. Nun aber kommt sie. Dies sollte für Arbeitgeber Grund sein, sich einmal genauer mit der eAUB auseinanderzusetzen und sich den hierdurch entstehenden Anpassungsbedarf vor Augen zu führen.

Änderungen im Krankmeldungsprozess

Bisher erhielten erkrankte Beschäftigte ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung („AUB“) – bekannt auch als „gelber Schein“ – in Papierform in dreifacher Ausfertigung, ein viertes Exemplar verblieb in der behandelnden Praxis. Eines der drei Exemplare diente hierbei der Einreichung bei der Krankenkasse, das Zweite verblieb bei den Beschäftigten und das dritte Exemplar diente der Vorlage beim Arbeitgeber. Die Beschäftigten hatten somit die Pflicht, die AUB an zwei Stellen zu übermitteln – ein nicht unaufwändiger und störanfälliger Prozess.

Hier setzt der Gedanke des Gesetzgebers an: Beschäftigte und Unternehmen sollten künftig entlastet, das Gesundheitswesen zugleich digitalisiert und entbürokratisiert werden. 

Zentrale gesetzliche Änderungen dieses Vorhabens finden sich in § 5 Abs. 1a des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG) sowie in § 109 des Vierten Sozialgesetzbuches (SGB IV). Künftig sind danach gesetzlich versicherte Beschäftigte nicht mehr verpflichtet, ihrem Arbeitgeber die AUB vorzulegen. Eine Pflicht besteht lediglich dazu, die Arbeitsunfähigkeit ärztlich feststellen zu lassen. Der behandelnde Arzt meldet sodann die Daten, die bislang auf der AUB aufgeschrieben waren, elektronisch an die Krankenkasse der Beschäftigten, die nach dem Erhalt die Daten zum Abruf für den Arbeitgeber bereitstellen.

Keine Änderungen bei privat versicherten Beschäftigten

Dies gilt jedenfalls bei Vertragsärzten der gesetzlichen Krankenversicherung, sog. Kassenärzte. Außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung bleibt dagegen alles beim Alten: Privatärzte stellen auch weiterhin eine AUB in Papierform aus. Insbesondere für privat versicherte Beschäftigte ändert sich daher nichts.

Auch sonst bleibt vieles beim Alten. So sind erkrankte Beschäftigte nach wie vor verpflichtet, sich unverzüglich krank zu melden. Auch der Zeitpunkt, an dem die Beschäftigten ihre Arbeitsunfähigkeit ärztlich feststellen lassen müssen, bleibt derselbe. Nach wie vor gilt: Wenn nicht der Arbeitgeber etwas anderes vorgibt, muss die ärztliche Feststellung erst am vierten Krankheitstag erfolgen. Schließlich hat auch die eAUB denselben hohen Beweiswert wie eine AUB in Papierform. Bei Streitigkeiten um die Entgeltfortzahlung können Beschäftigte daher grundsätzlich auf die Aussagekraft der eAUB vertrauen.

Anpassungsbedarf für Arbeitgeber

Die Änderungen im Ablauf des Krankmeldungsprozesses betreffen dennoch die meisten Beschäftigten. Für die privat versicherten Beschäftigten können und müssen Arbeitgeber den gewohnten Krankmeldungsprozess auch weiterhin beibehalten. Für die gesetzlich versicherten Beschäftigten – meist wohl der Großteil der Belegschaft – müssen Arbeitgeber ihre internen Abläufe aber an die geänderten Vorgaben anpassen:

Schaffung eines internen Abfrageprozesses

Aufgrund der Verschiebung der Initiativlast – nun müssen die Arbeitgeber handeln, um die AUB zu erhalten –, liegt der erste nötige Schritt in der Einrichtung eines zuverlässigen Prozesses zur elektronischen Abfrage bei den Krankenkassen. Hierbei sind folgende Eckpunkte zu beachten:

  • Abfrage erst ab Krankmeldung zulässig

Es muss sichergestellt sein, dass die Abfrage erst nach Krankmeldung erfolgt. Eine „vorsorgliche“ Abfrage bei bloßer Abwesenheit der Beschäftigten ist unzulässig. Dagegen ist eine Abfrage wohl bereits vor dem Zeitpunkt, zu dem die Beschäftigten verpflichtet sind, die Arbeitsunfähigkeit ärztlich feststellen zu lassen, zulässig, wird aber meist nicht sinnvoll sein, weil eine überobligatorische Feststellung wohl eher die Ausnahme darstellen dürfte.

  • Tatsächliche Abfrage bei Vorliegen der Voraussetzungen zu empfehlen

Liegt eine Krankmeldung vor, erscheint es zweckmäßig, die Abfrage trotz des damit verbundenen Mehraufwands auch tatsächlich vorzunehmen, um etwaigem Missbrauch entgegen zu wirken. Eine rechtzeitige Abfrage ist darüber hinaus erforderlich, um im Falle der Nichtabrufbarkeit der eAUB adäquat reagieren zu können.

  • Anordnung über die Vorlage zu einem früheren Zeitpunkt unter Beachtung des Mitbestimmungsrechts möglich

Bei Gestaltung des Abfrageprozesses ist zudem zu beachten, dass der Abruf der eAUB nach den Verlautbarungen des GKV-Spitzenverbands in der Regel erst am Folgetag der ärztlichen Feststellung möglich sein wird. Fehlt es an einer anderweitigen Vorgabe, ist mit einer erfolgreichen Abfrage daher erst am fünften Tag der Erkrankung zu rechnen. Um hier einen Gleichlauf mit der AUB in Papierform herbeizuführen, können Arbeitgeber darüber nachdenken, die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit von gesetzlich versicherten Beschäftigten bereits am dritten Krankheitstag zu fordern, damit die eAUB bereits am vierten Tage abrufbar ist. Hierbei ist jedoch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) zu beachten.

Kommunikation an die Beschäftigten

In Anbetracht der jahrzehntelangen Praxis des „gelben Scheins“, die sich nunmehr für die meisten Beschäftigten ändert, sollten die ab dem 1. Januar 2023 geltenden Handlungserfordernisse an die Beschäftigten klar kommuniziert werden, um unnötige Fehler im Krankmeldungsprozess und sich ggf. daran anschließende Entgeltfortzahlungsstreitigkeiten zu vermeiden.

Umgang mit Nichtabrufbarkeit der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Für den Umgang mit Fällen, in denen die eAUB einmal nicht bei der Krankenkasse abrufbar sein sollte, obwohl die Voraussetzungen hierfür eigentlich vorliegen, sollte ebenfalls ein interner Prozess entwickelt werden. Hierbei ist zu beachten, dass die Nichtabrufbarkeit nicht zwingend auf ein Versäumnis der Beschäftigten zurück zu führen ist, sondern auch technische Ursachen aus der Sphäre der Ärzte oder Krankenkassen haben kann.

  • Beschäftigte schnellstmöglich kontaktieren

Zunächst sollten Arbeitgeber deshalb auf ihre Beschäftigten zugehen und sich bei ihnen erkundigen, ob eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erfolgt ist. Dies sollte möglichst zeitnah erfolgen, um die Sachlage noch innerhalb des aktuellen Abrechnungszeitraums zu klären, damit eine Entscheidung über die Auszahlung des Lohns getroffen werden kann (dazu sogleich).

  • Keine Pflicht zum Vorzeigen der für die Beschäftigten bestimmten Ausfertigung

Die Herausgabe der Ausfertigung der AUB, die den Beschäftigten selbst vom behandelnden Arzt ausgehändigt wurde, kann von Arbeitgeber nicht verlangt werden. Dies deshalb, weil diese Ausfertigung die der Arbeitsunfähigkeit zugrundeliegende Diagnose in Form eines Diagnoseschlüssels enthält. Aber selbst im geschwärzten Zustand dürften Arbeitgeber die Herausgabe der Ausfertigung nicht verlangen können, weil die Ausfertigung ausschließlich dem Beweisinteresse der Beschäftigten in einem etwaigen Entgeltfortzahlungsprozess dient. Allerdings werden die Beschäftigten oftmals selbst ein Interesse daran haben, die Ausfertigung vorzulegen, um den Verdacht des unerlaubten Fehlens auszuräumen.

  • Kein Zurückbehaltungsrecht bezüglich des Arbeitsentgelts

Erfolgt dagegen keine freiwillige Vorlage, ist die Rechtsposition der Arbeitgeber im elektronischen Meldeverfahren eingeschränkt. Das bislang bekannte Zurückbehaltungsrecht am Arbeitsentgelt findet hier wohl keine Anwendung mehr.

  • Einbehaltung von Lohn birgt Risiken

In Fällen, in denen die eAUB nicht abrufbar ist und sich die Beschäftigten weigern, ihre Ausfertigung vorzulegen, bleibt Arbeitgebern daher praktisch allein die Möglichkeit, das Entgelt für die Tage der Arbeitsunfähigkeit schlicht nicht auszuzahlen. Dies birgt freilich das Risiko, dass die Entgeltzahlung zu Unrecht unterblieben ist, wenn die Beschäftigten später nachweisen können, dass sie tatsächlich arbeitsunfähig waren. Arbeitgeber müssten den Lohn dann nachzahlen und befänden sich obendrein im Zahlungsverzug.

  • Rückforderung bereits ausgezahlten Lohns praktisch nur schwer möglich

Praktisch meist wenig aussichtsreich erscheint dagegen die Rückforderung von Lohn, der zunächst trotz Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit fortgezahlt wurde. Lohnrückforderungsansprüche können Beschäftigte oftmals abwehren, indem sie sich auf Entreicherung berufen. Diesen Einwand zu entkräften, dürfte nur in eindeutigen Fällen („Schwänzen“) gelingen.

  • Anpassung der Standardarbeitsverträge

Aktualisiert werden sollten zudem Standardarbeitsverträge und – seltener – Betriebsvereinbarungen, die meist an den bisherigen Krankmeldungsprozess anknüpfen. Die entsprechenden Passagen müssen an die neue Gesetzeslage angepasst werden. Nicht zu vergessen ist dabei aber, dass der bisherige Krankmeldungsprozess auf privat versicherte Beschäftigte weiterhin Anwendung findet. Insofern sollten die neuen Standardarbeitsverträge differenzierende Formulierungen enthalten.

Fazit

Es besteht somit Handlungsbedarf für Arbeitgeber. Für diejenigen, die bislang noch nicht begonnen haben, ist es nunmehr höchste Zeit. Gerade für den Umgang mit „verdächtigen“ Krankheitsfällen macht die neue Gesetzeslage eine neue Strategie erforderlich, um adäquat auf Lohnfortzahlungsstreitigkeiten reagieren zu können. Dies gilt umso mehr, als dass im Rahmen der eAUB Arbeitgeber nicht mehr erkennen können, welche Ärzte die eAUB ausgestellt haben. Es dürfte daher in Zukunft noch schwerer fallen, „verdächtige“ eAUB, etwa solche, die ohne vorherigen Kontakt zum Arzt ausgestellt wurden (z.B. „Online-AU“), zu identifizieren.

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