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Das neue Regulierungsregime für Wertpapierfirmen vor dem Praxistest

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Gut gemeint, auch gut gemacht?

Ausblick auf das neue Aufsichtsregime für Wertpapierfirmen: Wie wirkt sich das Zusammenspiel der neuen EU-Verordnung „Investment Firms Regulation“ (IFR) und der EU-Richtlinie „Investment Firms Directive“ (IFD) auf verschiedene Gruppen von Wertpapierfirmen aus? In dem folgenden Beitrag geben Alexander Behrens und Woldemar Häring Antworten.

UPDATE 15 September 2020: Besuchen Sie auch gerne unsere neue Fokusseite zu den Anforderungen nach IFR / Wertpapierinstitutsgesetz. Diese finden Sie hier. Auf der Seite, die wir fortlaufend aktualisieren, finden Sie eine Zusammenfassung wesentlicher Themen, aber auch z.B. eine Übersicht über die jeweils aktuellen Rechtsakte.

 

Im vergangenen Jahrzehnt haben die EU-Institutionen eine hochkomplexe Regulierungsmaterie geschaffen. Oberstes Ziel war, die Entfaltungskräfte der Finanzindustrie zu bändigen. Ob die Finanzunternehmen klein oder groß waren, ob sie ein komplexes oder einfaches Geschäftsmodell hatten, spielte häufig eine untergeordnete Rolle. An erster Stelle ging es um die Lehren aus der Finanzkrise. Kein Risiko sollte vom Finanzsektor mehr ausgehen. Es herrschte die Devise: Lieber mehr regulieren als zu wenig.

Daher galten viele der auf Empfehlung des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht für Großbanken konzipierten und in die Capital Requirements Regulation (CRR) und Capital Requirements Directive (CRD) umgesetzten Regelungen nicht nur für kleinere Kreditinstitute, sondern wurden auch auf viele Arten von Wertpapierfirmen ausgeweitet. Vereinfacht gesprochen, handelt es sich dabei um Wertpapierdienstleister ohne Kredit- und Einlagengeschäft. Zu dieser Kategorie zählen zwar auch große, globale Investmentfirmen. Die überwiegende Mehrheit der europäischen und gerade deutschen Wertpapierfirmen sind jedoch kleinere Vermögensverwalter, Vermögensvermittler oder Anlageberater. Am Ende sah sogar die EU-Kommission selbst in der raumgreifenden Regulierung ein Risiko für die Vollendung der von ihr angestrebten Kapitalmarktunion. Sie hatte Sorge, dass die Leistungsfähigkeit der Branche beeinträchtigt werden könnten.

Knapp ein Jahrzehnt nach der Finanzkrise präsentierte die EU-Kommission daher Ende 2017 auf Grundlage von Vorschlägen der EBA die Vorlage für ein eigenes Aufsichtsregime für Wertpapierfirmen. Dieses besteht aus der inzwischen üblichen Kombination aus unmittelbar geltender Verordnung und national umzusetzender Richtlinie: der Investment Firms Regulation (IFR) und der Investment Firms Directive (IFD). Obwohl beide Rechtsakte schon im Dezember 2019 in Kraft getreten sind, haben sie hierzulande bislang wenig Aufmerksamkeit erfahren. Dies dürfte sich mit dem in den nächsten Monaten erwarteten deutschen Umsetzungsgesetz ändern. Die Implementierung von Anforderungen durch Institute dürfte eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen, und die Zeit für Umsetzungsmaßnahmen läuft: Die wesentlichen Regelungen sind ab dem 26. Juni 2021 erstmals anzuwenden. Gerade für kleinere Wertpapierfirmen ergeben sich wichtige Änderungen.

Vier Klassen von Wertpapierfirmen

Die IFR und IFD zielen darauf ab, ein Aufsichtsregime zu schaffen, das zum einen nicht mehr auf die für Banken typischen Risiken zugeschnitten ist, sondern sich konkret an den Geschäftsmodellen von Wertpapierfirmen orientiert. Zum anderen soll es den enormen Unterschieden in den Geschäftsmodellen der Wertpapierunternehmen selbst Rechnung tragen. Das Ergebnis ist eine regulatorische Einteilung in vier verschiedene Klassen mit sehr unterschiedlicher Regulierungsintensität.

Die oberste Kategorie bilden systemrelevante Wertpapierfirmen (Class 1a firms). Sie betreiben Handelsaktivitäten im Sinne von Emissionsgeschäft oder Eigenhandel und müssen – individuell oder zusammen mit typgleichen Wertpapierfirmen innerhalb einer Gruppe – eine Bilanzsumme von mindestens 30 Mrd. Euro haben. Auch wenn sie kein Einlagen- und Kreditgeschäft betreiben, sieht der europäische Gesetzgeber hier die gleichen Gefahren wie bei Banken gegeben. An ihrer Regulierung soll sich daher materiell nichts ändern. Für sie gelten wie bisher die CRR und CRD. Allerdings kommt es auf institutioneller Ebene zu einer entscheidenden Änderung: Systemrelevante Wertpapierfirmen werden in Zukunft wie systemrelevante Banken von der EZB beaufsichtigt und müssen dazu ein eigenes Erlaubnisverfahren durchlaufen – und in der Folge EZB spezifische Regelungen anwenden.

Wertpapierfirmen der zweiten Kategorie (Class 1b firms) erreichen zwar nicht die Schwelle der Systemrelevanz und bedürfen daher nicht der Aufsicht durch die EZB. Aufgrund ihrer Bilanzsumme von mindestens 15 Mrd. Euro – ebenfalls individuell oder zusammen mit typgleichen Wertpapierfirmen innerhalb einer Gruppe – sowie der Durchführung von Handelsaktivitäten im oben genannten Sinne entsprechen die von ihnen ausgehenden Risiken aber nach Auffassung des europäischen Gesetzgebers denen einer typischen Bank. Auch diese Unternehmen bleiben daher weiter im Anwendungsbereich von CRR und CRD. Eine Eingruppierung in die zweite Kategorie kann im Übrigen auch auf Anordnung von Aufsichtsbehörden erfolgen. Voraussetzung ist, dass sich die Bilanzsumme einer Wertpapierfirma auf mindestens 5 Mrd. Euro beläuft und diese ein komplexes und grenzüberschreitendes Geschäftsmodell betreibt. Schließlich können Institute selbst einen Antrag auf Einordnung als Class 1b firm stellen, wenn sie nicht als einzige Gesellschaft einer Gruppe IFD und IFR, statt CRR und CRD anwenden möchten.

Erleichterung für Kleinere

Die eigentliche Neuregelung spielt sich in den Kategorien drei und vier (Class 2 und Class 3 firms) ab, für die ab Juni 2021 nicht mehr CRR und CRD, sondern mit IFR und IFD ein eigenes Aufsichtsregime gelten wird. Dazu wurden die Kapital-, Liquiditäts- und Governance-Anforderungen aus der CRR komplett überarbeitet und auf Geschäftsmodelle von Wertpapierfirmen zugeschnitten. Während die Berechnung von Marktrisiken weiterhin nach CRR-Regeln erfolgt, werden alle anderen Risikoarten durch sogenannte K-Faktoren erfasst. Dazu gehören etwa das Volumen der Assets under Management oder der gehaltenen Kundenvermögen. Diese K-Faktoren werden als Indikatoren für typische Risiken eines Wertpapierdienstleisters betrachtet und kommen je nach Geschäftsaktivität modular zur Anwendung.

Die entsprechenden Regelungen gelten primär für Class 2 firms, die eine Bilanzsumme von weniger als 15 Mrd. Euro aufweisen und entweder Handelsaktivitäten erbringen oder bestimmte Schwellenwerte überschreiten. Wertpapierfirmen, die keinen Handel betreiben und unter den Schwellenwerten bleiben,  etwa Kundenvermögen von weniger als 1,2 Mrd. Euro verwalten, werden als Class 3 firms eingestuft. Diese Wertpapierfirmen – kleinere Vermögensverwalter, Anlageberater und Anlagevermittler – werden einem noch einmal stark vereinfachten Regelwerk unterworfen.

Differenzierte Regulierung, nicht weniger

Im Kern schaffen IFR und IFD Veränderungen für kleine und mittelgroße Wertpapierfirmen, indem diese aus dem Rahmen der CRR und CRD herausgelöst und einem eigenen Regelwerk unterworfen werden. Damit möchte der europäische Gesetzgeber diese Unternehmen entlasten. IFR und IFD sind ein Ausdruck der Bereitschaft zu verstehen, das inzwischen hohe Maß an Regulierung kleinerer Marktteilnehmer konsequent zu hinterfragen. Denn mittelfristig trägt die Regelungskomplexität zu einer Konsolidierung des Markts bei. Geht diese zu weit, erweist man aber dem Endkunden einen Bärendienst, denn Angebotsvielfalt im Markt, die Wettbewerb und Innovationskräfte stärkt, droht abzunehmen. Ähnliche Tendenzen hin zur Entlastung kleinerer Marktteilnehmer finden sich auch im sog. Bankenpaket (CRR II und CRD V) und werden hoffentlich auch im Rahmen von CRR III und CRD VI sowie bei MiFID III eine Rolle spielen.

Diese Tendenz ist zu begrüßen. Allerdings zeigt das Beispiel von IFR und IFD auch die damit verbundenen Herausforderungen: Zum einen zeichnet sich ab, dass es im Bereich der Class 2 firms – entgegen dem ursprünglichen Ziel – teilweise sogar zu Verschärfungen gegenüber dem derzeitigen Regime kommen wird. Zum andern gilt gerade für die Class 3 firms, dass für sie zwar die materiellen Anforderungen regelmäßig sinken dürften. Das  grundsätzlich sinnvolle  Ziel einer möglichst differenzierten Regulierung bringt allerdings eine nicht zu unterschätzende Komplexität mit sich - nicht zuletzt durch das Zusammenwirken von Verordnung und Richtlinie. Diese Komplexität dürfte sich durch die europäischen Umsetzungsakte (Level 2 und Level 3) noch deutlich erhöhen.

Es bleibt zu hoffen, dass EBA und EU-Kommission gerade im Hinblick auf kleine Wertpapierfirmen  nicht mit zu viel Liebe zum Detail zu Werke gehen. Sie sollten ihr Ziel im Auge behalten: Aufwand und Kosten der Regulierung sollen sinken, nicht steigen.

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