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BMF-Schreiben zu cum/cum-Transaktionen und Wertpapiergeschäften - Eine herausfordernde Kehrtwende

Das BMF hat am 15. Juli 2021 seine geänderte Verwaltungsauffassung bezüglich der Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums bei cum/cum-Transaktionen und Wertpapiergeschäften veröffentlicht. Im Vergleich zu der bisherigen Verwaltungsauffassung  ergeben sich einige fundamentale Änderungen, die auf alle offenen Fälle anzuwenden sind. Hierbei konzentriert sich die Verwaltung stärker auf den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums und kombiniert diesen Ansatz mit der Prüfung eines Gestaltungsmissbrauchs.

Die folgende Darstellung fasst die wichtigsten praktischen Auswirkungen der geänderten Verwaltungsauffassung zusammen.

A. Cum/cum-Transaktionen

Das neue BMF-Schreiben betrifft die steuerliche Behandlung von cum/cum-Transaktionen, worunter unter anderem Wertpapierleihgeschäfte, Wertpapierpensionsgeschäfte (Repo-Geschäfte) und Kassa-Geschäfte über den Dividendenstichtag fallen. Die weitreichendsten Änderungen im Vergleich zu der bisherigen Verwaltungsauffassung betreffen die folgenden Punkte:

1. Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums: Bisher ging das BMF grundsätzlich von einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums bei cum/cum-Transaktionen aus. Dieses Ergebnis wurde in einem zweiten Schritt nach den Grundsätzen des Gestaltungsmissbrauchs gem. § 42 AO korrigiert. Im Gegensatz hierzu versagt die geänderte Verwaltungsauffassung bei Vorliegen der Kriterien bereits grundsätzlich den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums, die Zurechnung der Dividendeneinkünfte und die Berechtigung zur Anrechnung oder Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer.

Erst bezüglich der sonstigen steuerlichen Folgen ist zu prüfen, ob ein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten vorliegt.

Ob die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums zu dem Entleiher bzw. Erwerber erfolgen kann, ist insbesondere nach den folgenden Kriterien zu beurteilen. Gegen eine Zuordnung zum Entleiher bzw. Erwerber spricht dabei:

  • eine schwache oder risikoarme Position des Entleihers bzw. Erwerbers;
  • kein Übergang der Chancen und Risiken, die mit dem Eigentum an Wertpapieren üblicherweise verbunden sind (bspw. wegen des Abschlusses korrespondierender Wertsicherungsgeschäfte);
  • im Voraus vereinbarter Verkaufspreis im Falle der Rückveräußerung als Bestandteil der Gestaltung;
  • Aufteilung des erlangten Steuervorteils unter den Vertragsparteien (bspw. in Form von Preisgestaltungen);
  • kurzfristige Haltedauer.

Die neue Verwaltungsauffassung bezüglich der wirtschaftlichen Zurechnung bei Wertpapiergeschäften (wie unter B. beschrieben) geht von einer Mindesthaltedauer von 45 Tagen aus. Wir nehmen an, dass diese Auffassung auch grundsätzlich für cum/cum-Transaktionen gelten soll. Dies würde bedeuten, dass der Entleiher bzw. Erwerber im Fall einer Haltedauer von weniger als 45 Tagen die Beweislast dafür trägt, dass das wirtschaftliche Eigentum auf ihn übergegangen ist.

Wenn eine Gesamtschau der Kriterien ergibt, dass das wirtschaftliche Eigentum nicht auf den Entleiher bzw. Erwerber übergegangen ist, sieht die Verwaltungsauffassung die folgenden Rechtsfolgen vor:

  • Das wirtschaftliche Eigentum verbleibt beim Verleiher bzw. Veräußerer und der Entleiher bzw. Erwerber ist nicht berechtigt, sich die auf Dividenden einbehaltene Kapitalertragsteuer anrechnen oder erstatten zu lassen.
  • Der Entleiher bzw. Erwerber ist vom Abzug der im Zusammenhang mit der cum/cum-Transaktion angefallenen Ausgaben ausgeschlossen.

Dies hat zur Folge, dass in allen noch offenen Fällen eine Rückforderung gewährter Erstattungen bzw. Anrechnung von Kapitalertragsteuer im Zusammenhang mit cum/cum-Transaktionen sowie die Versaung des Abzugs von korrespondierenden Aufwendungen droht.

2. Kein Betriebsausgabenabzug für definitive Kapitalertragsteuerbelastung: Im Gegensatz zu der früheren Verwaltungsauffassung schließt das BMF nun die Möglichkeit aus, 3/5 der Kapitalertragsteuer als Betriebsausgaben abzuziehen.

3. Übergangsregelungen: Das BMF-Schreiben aus dem Juli 2017 sollte ausdrücklich nicht auf Dividenden Anwendung finden, die vor dem 1. März 2013 bezogen wurden, wenn der Verleiher bzw. Veräußerer eine EU/EWR-Gesellschaft war. Diese Übergangsregelung ist in dem neuen BMF-Schreiben ersatzlos entfallen.

4. Berichtigungspflicht: Das BMF-Schreiben verweist ausdrücklich auf die Pflicht zur Berichtigung von Erklärungen gem. § 153 AO. Demnach muss ein Steuerpflichtiger, der nachträglich, aber noch vor Ablauf der Festsetzungsfrist, erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und es hierdurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist, dies unverzüglich anzeigen und die Erklärung berichtigen.

  • Dies bedeutet für Entleiher bzw. Erwerber, die in der Vergangenheit eine Erstattung bzw. Anrechnung der Kapitalertragsteuer beantragt haben, dass sie grundsätzlich ihre entsprechenden Steuerpositionen daraufhin überprüfen müssen, ob diese für Transaktionen abgegeben wurden, die von dem neuen BMF-Schreiben erfasst sind.

B. Wirtschaftliche Zurechnung bei Wertpapiergeschäften

In Bezug auf Wertpapierdarlehensgeschäfte, die Gegenstand einer Reihe aktueller Finanzgerichtsentscheidungen waren, und anderen Wertpapiergeschäften bestimmt die neue Verwaltungsauffassung folgendes:

1. Kein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums: Das wirtschaftliche Eigentum geht im Rahmen einer sog. strukturierten Wertpapierleihe nicht auf den Entleiher über, wenn eine Reihe von Kriterien erfüllt ist, die im Wesentlichen auf das Urteil des BFH vom 18. August 2015 (I R 88/13) zurückgehen.

In diesem Fall entschied der BFH, dass das wirtschaftliche Eigentum nicht von dem Verleiher auf den Entleiher übergeht, wenn die zivilrechtliche Position des Entleihers „lediglich eine formale leere Hülle“ sei. 

Ob das wirtschaftliche Eigentum übergeht, ist im Rahmen einer Gesamtschau anhand der nachfolgenden Kriterien zu beurteilen:

  • das Gesamtentgelt für das Wertpapiergeschäft ist an dem erlangten Steuervorteil bemessen;
  • der Darlehensnehmer erhält keine Liquiditätsvorteile aus der Dividendenzahlung;
  • der Darlehensnehmer kann (rechtlich oder faktisch) keine Stimmrechte ausüben;
  • die Haltedauer beträgt weniger als 45 Tage (dann Beweislast für wirtschaftliches Eigentum beim Entleiher).

2. Anwendungsbereich: Die vorgenannten Grundsätze gelten entsprechend für andere Wertpapiergeschäfte, wie beispielsweise Repo-Geschäfte, Wertpapierpensionsgeschäfte im Sinne des § 340b HGB und Kassa-Geschäfte. 

3. Gestaltungsmissbrauch: Um den Abzug eines künstlichen Betriebsausgabenüberhangs zu verhindern, ist nach der Verwaltungsauffassung § 42 AO anzuwenden und bereits abgezogene Betriebsausgaben sind außerbilanziell zwecks Korrektur wieder hinzuzurechnen.

4. Berichtigungspflicht: Das BMF-Schreiben nimmt nicht explizit Bezug auf Berichtigungsvorschriften. Dennoch sollten dieselben Grundsätze wie bei cum/cum-Transaktionen gelten (siehe oben unter A. 4).

C. Praktische Auswirkungen

Aus den fundamentalen Änderungen der Verwaltungsgrundsätze ergibt sich eine Vielzahl an Fragen.

Zu diesen Fragen zählen insbesondere:

  • Wie ist das Zusammenspiel zwischen dem wirtschaftlichen Eigentum und dem Gestaltungsmissbrauch?
  • Welcher Anwendungsbereich verbleibt für die besonderen auf cum/cum-Gestaltungen abzielenden Missbrauchsvermeidungsnormen (§§ 36a und 50j EStG)?
  • Wie haben die Steuerpflichtigen etwaige Berichtigungspflichten praktisch zu handhaben und welche Zeiträume unterliegen der Berichtigungspflicht?
  • Sollten marktübliche vertragliche Rahmenbedingungen und Abwicklungspraxis überprüft werden?
  • Ergeben sich bilanziell zu berücksichtigende Steuerrisiken?
  • Was müssen Depotbanken von Beteiligten und Dienstleister, die im Rahmen des Steuererstattungsprozesses tätig wurden, beachten?

Da die neuen Verwaltungsgrundsätze auf alle offenen Fälle anzuwenden sind und sowohl für inländische als auch für ausländische Steuerpflichtige gelten, sollte jeder Erstattungs- oder Anrechnungsntrag hinsichtlich Geschäften, auf die diese Grundsätze Anwendung finden, sorgfältig überprüft werden. Der genaue Zeitraum der Überprüfung hängt vom jeweiligen steuerlichen Verfahrensstand ab.

Die Praxisschwerpunkte dürften folgende sein:

  • Prüfung des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums;
  • Überprüfung der bisherigen Steuerpositionen, insbesondere (teilweise) Erstattungen im Rahmen der besonderen cum/cum-Missbrauchsregelungen (z.B. Korrektur der beschränkten 2/5 Steueranrechnung) oder der vorherigen Übergangsregelungen, Beschränkung oder Korrektur der abziehbaren Betriebsausgaben (z.B. Zahlungen im Zusammenhang mit Transaktionen oder 3/5 Definitivsteuerbelastung, die bislang als abziehbare Betriebsausgaben behandelt wurden). Eine Überprüfung der bislang passivierten Rückstellungen für cum/cum-Risiken ist ggf. erforderlich.
  • Vorbereitung von ggf. erforderlichen Berichtigungserklärungen
  • Aufarbeitung des unklaren Verhältnisses zwischen den Verwaltungsgrundsätzen und den besonderen cum/cum Missbrauchsvermeidungsnormen.

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Die überarbeiteten Verwaltungsgrundsätze bezüglich der Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums bei cum/cum und Wertpapiertransaktionen:

  1. revidieren die früheren Grundsätze mit einem starken Fokus auf dem wirtschaftlichen Eigentum;
  2. sehen strengere Anwendungsregelungen vor (ohne Übergangsregelungen);
  3. können Berichtigungspflichten der Steuerpflichtigen auslösen.

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