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Umsetzung der „Vereinbarkeitsrichtlinie" - Bürokratie statt Balance

UPDATE: Das deutsche Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige („Work-Life-Balance-Richtlinie“ – (EU) 2019/1158) hat den Bundesrat passiert. Es soll am Tag nach seiner Verkündung in Kraft treten, die zeitnah zu erwarten ist. Das Gesetz sieht nur marginale Anpassungen des Bundeselterngeld- (BEEG), Pflegezeit- (PflegeZG), Familienpflegezeit- (FPfZG) und Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vor. Der deutsche Gesetzgeber hat sich – im wahrsten Sinne des Wortes – weitestgehend auf dem bisherigen Schutzniveau ausgeruht. Denn die Umsetzungsfrist lief bereits am 2. August 2022 ab und gegen Deutschland wurde ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Auch das ursprünglich noch für dieses Jahr angekündigte (eigene)  Gesetzgebungsverfahren zum zweiwöchigen Partnerschaftsurlaub nach der Geburt („Paket für mehr Partnerschaftlichkeit“) lässt weiterhin auf sich warten.

Was sieht die „Work-Life-Balance-Richtlinie“ vor?

Im Juni 2019 wurde auf europäischer Ebene die sogenannte „Work-Life-Balance“ Richtlinie beschlossen. Die Richtlinie legt bestimmte Mindestvorschriften fest, die berufstätigen Eltern und pflegenden Angehörigen die Vereinbarkeit von Beruf und Familienleben erleichtern und zur Gleichstellung von Männern und Frauen im Hinblick auf Arbeitsmarktchancen beitragen sollen. 

Gegenstand der Richtlinie sind folgende sechs Kernbereiche: 

  • Recht auf (bezahlten) Vaterschaftsurlaub: Väter oder – soweit nach nationalem Recht anerkannt –gleichgestellte zweite Elternteile, haben Anspruch auf zehn Arbeitstage bezahlten Urlaub; dieser ist anlässlich der Geburt des Kindes zu nehmen. Die Vergütung muss mindestens der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall entsprechen.
  • Recht auf (bezahlten) Elternurlaub: Jeder Elternteil hat einen individuellen Anspruch auf vier Monate bezahlten Elternurlaub, der bis zum achten Geburtstag des Kindes zu nehmen ist, davon sind zwei Monate nicht übertragbar.  Die Vergütung muss in einer Höhe erfolgen, die die Inanspruchnahme von Elternurlaub durch beide Elternteile erleichtert, aber mindestens 65% des Nettoeinkommens (bis zu bestimmten Obergrenzen).
  • Recht auf Pflegeurlaub: Arbeitnehmer haben das Recht, fünf Arbeitstage/Jahr Urlaub zur Pflege von Angehörigen zu nehmen.
  • Ermöglichung flexibler Arbeitszeitregelungen: Arbeitnehmer mit Kindern bis zum vollendeten achten Lebensjahr sowie pflegende Angehörige haben das Recht, zeitlich begrenzt flexible Arbeitsregelungen für Betreuungs- und Pflegezwecke zu beantragen, wo dies möglich ist auch z.B. durch Arbeit aus dem Home-Office. 
  • Arbeitsfreistellung aufgrund höherer Gewalt: Arbeitnehmer haben im Fall höherer Gewalt das Recht auf Arbeitsfreistellung aus dringenden familiären Gründen, wenn eine Krankheit oder ein Unfall ihre unmittelbare Anwesenheit erfordert.
  • Kündigungsschutz und Benachteiligungsverbot: Es gilt ein Verbot der Kündigung aufgrund der Beantragung oder der Inanspruchnahme eines Vaterschafts- oder Elternurlaubs, eines Urlaubs für pflegende Angehörige oder aufgrund der Inanspruchnahme flexibler Arbeitsregelungen. Weiterhin sollen Arbeitnehmer und -vertreter vor Benachteiligungen durch den Arbeitgeber geschützt sein, wenn sie zur Durchsetzung ihrer vorstehenden Rechte im Unternehmen Beschwerde eingereicht oder ein Gerichtsverfahren angestrengt haben.

Den Mitgliedsstaaten wurde eine Frist zur Umsetzung der Richtlinie bis zum 2. August 2022 gesetzt. 

Welche Regelungen gibt es derzeit schon?

Nach Auffassung des BMFSFJ bedarf der größte Teil der Vorgaben der Richtlinie keiner weiteren gesetzlichen Umsetzung, weil er dem bereits geltenden nationalen Recht entspreche. 

So hat ein jedes Elternteil bereits nach derzeitiger Gesetzeslage gemäß § 15 BEEG Anspruch auf bis zu drei Jahre Elternzeit pro Kind, die frühestens mit der Geburt des Kindes beginnen kann und bis zum achten Geburtstag des Kindes zu nehmen ist. 

Finanziell abgesichert sind Eltern in dieser Zeit mit dem Basiselterngeld. Hiernach haben beide Elternteile gemeinsam einen Anspruch auf zwölf Monatsbeiträge Elterngeld in Höhe von 67% des Nettoeinkommens (Obergrenze 1800€, aber mindestens 300€) gemäß §§ 1, 2, 4 BEEG. Dieses kann auf bis zu 14 Monate verlängert werden, wenn von dem einen Elternteil zumindest für zwei Monate eine vor der Geburt ausgeübte Erwerbstätigkeit unterbrochen oder eingeschränkt wird (sog. Partnermonate). Das Basiselterngeld kann alternativ oder in Kombination mit Elterngeld Plus bei Teilzeit bezogen werden. 

Auch Pflegeurlaub in Form der Familienpflegezeit (§ 2 FPfZG) und einer vollständigen oder teilweisen Freistellung zur Pflege von nahen Angehörigen (sog. Pflegezeit, § 3 PflegeZG) kennt das deutsche Recht schon – allerdings nicht in Kleinbetrieben. 

Daneben wird der Vergütungsanspruch in Fällen von Arbeitsverhinderung wegen höherer Gewalt oder aus dringenden persönliche Gründen (wie z.B. bei Erkrankung von Familienmitgliedern) ausnahmsweise unter den Voraussetzungen der §§ 615, 616 BGB aufrechterhalten. In Standardarbeitsverträgen wird § 616 BGB allerdings häufig abbedungen, weshalb seine praktische Bedeutung gering ist. Aufgefangen wird dies durch das in § 2 PflegeZG normierte Recht aller Beschäftigten, der Arbeit zur Organisation der Pflege naher Angehöriger bis zu zehn Tage unter Fortzahlung der Vergütung fernzubleiben.

Regelungen zur Verringerung und Verteilung der Arbeitszeit bei Eltern(teil-)zeit finden sich bereits in § 15 BEEG.

Welche Regelungen kommen durch das Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG) hinzu?

Das VRUG ergänzt die derzeitige Gesetzeslage daher lediglich um folgende Neuregelungen: 

  • Flexible Arbeitszeitregelung: Künftig müssen Arbeitgeber unabhängig von der Betriebsgröße die Ablehnung eines Antrags auf flexible Arbeitsregelungen in der Elternzeit begründen.
    • Bislang galt eine solche Begründungspflicht nur bei einem Anspruch auf Verringerung und Verteilung der Arbeitszeit (§ 15 Abs. 7 S. 4 BEEG). Ein solcher ist allerdings an enge Voraussetzungen geknüpft. Hierbei spielen unter anderem die Unternehmensgröße (15 Beschäftigte), die Betriebszugehörigkeit (sechs Monate) und die Stundenzahl (zwischen 15 und 32) pro Woche, die der / die Beschäftigte in Elternteilzeit arbeiten möchte, eine Rolle (vgl. § 15 Abs. 7 S. 1 BEEG). Nun trifft Arbeitgeber eine solche Begründungspflicht auch im Rahmen der Einigungslösung und damit unabhängig von der Betriebsgröße (§ 15 Abs. 5 S. 4 BEEG n.F.).
    • Zu beachten gilt es weiterhin, dass der Arbeitsort von dieser Regelung unberührt bleibt. Dies ist überraschend, denn der europäische Gesetzgeber nannte (befristete) Telearbeit als eine mögliche flexible Arbeitsregelung (vgl. Erwägungsgrund 35). In Deutschland besteht dagegen auch nach zwei Jahren Erfahrungen mit der Machbarkeit von Home-Office und virtuellen Meetings im Zuge der Pandemie kein Anspruch auf Telearbeit (mehr). Mag dies für einen Teil der Arbeitgeber aufgrund des befürchteten Kontrollverlusts ein Grund zum Aufatmen sein, so wäre dies sicherlich ein großer Schritt in Richtung Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewesen.
  • Pflegeurlaub: Künftig können auch Beschäftigte in Kleinbetrieben eine teilweise Freistellung von der Arbeitspflicht für maximal 24 Monate (sog. Familienpflegezeit, § 2 FPfZG), sowie eine Pflegezeit oder sonstige Freistellung für einen Zeitraum von längstens sechs Monaten für jeden pflegebedürftigen nahen Angehörigen (§§ 3, 4 PflegeZG) beantragen. Bislang war dies nur in Betrieben mit in der Regel mehr als 15 (PflegeZG) bzw. 25 (FPfZG) Beschäftigten möglich.
    • Der Arbeitgeber muss den Antrag binnen vier Wochen nach Zugang beantworten; lehnt er ihn ab, hat er die Begründung für die Ablehnung mitzuteilen (§ 2a Abs. 5a S. 2,3 FPfZG (n.F.) bzw. § 3 Abs. 6a S. 2, 3 PflegeZG (n.F.)).
    • Diese Neuregelung für Kleinbetriebe wird ergänzt durch einen Kündigungsschutz für die Dauer der vereinbarten Freistellung nach dem Pflegezeit- oder Familienpflegezeitgesetz gem. § 5 Abs. 1 S. 2 PflegeZG (n.F.).
    • Zudem sollen auch in Kleinbetrieben nunmehr Arbeitnehmer die Freistellung vorzeitig beenden können, wenn die oder der nahe Angehörige nicht mehr pflegebedürftig oder die häusliche Pflege der oder des nahen Angehörigen unmöglich oder unzumutbar ist (§ 2a Abs. 5a S. 4 FPfZG (n.F.)).
  • Benachteiligungsverbot: An die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sollen sich zukünftig auch Beschäftigte wenden können, die der Ansicht sind, aufgrund der Beantragung oder der Inanspruchnahme ihrer Rechte als Eltern oder pflegende Angehörige auf Freistellung von der Arbeitsleistung oder Anpassung der Arbeitszeit nach dem BEEG, dem PflegeZG oder dem FPZG, oder auf Verweigerung der Arbeitsleistung aus dringenden familiären Gründen nach § 2 PflegeZG oder vorübergehender persönlicher Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 3 BGB benachteiligt worden zu sein. In der Praxis dürfte sich dies eher als „zahnloser Tiger“ erweisen, da der hierdurch gewährleistete Diskriminierungsschutz nicht über das bereits bestehende Maßregelungsverbot in § 612a BGB hinausgeht und sich in der Inanspruchnahme der eigenen Rechte als Betroffener erschöpft. 

Den in der Richtlinie vorgesehenen Vaterschaftsurlaub will der deutsche Gesetzgeber wegen der bestehenden Regelungen zur Elternzeit zumindest mit dem VRUG nicht einführen. 

Wesentliche Erleichterungen im Spagat zwischen Familie und Beruf bietet das VRUG demnach nicht. Kennzeichnend ist vielmehr ein höheres Maß an Bürokratie für Arbeitgeber, während man Regelungen, die zur Flexibilität im Arbeitsalltag hätten beitragen können, vergeblich sucht. Es liegt deshalb weiter an Arbeitgebern, praktikable und flexible Lösungen für und mit ihren Beschäftigten zu finden, um dem wachsenden Fachkräftemangel entgegenzutreten.

Vaterschaftsurlaub durch das „Paket für mehr Partnerschaftlichkeit“?

Teilweise wiedergutmachen könnte die eher halbherzige Umsetzung der Richtlinie durch das VRUG das von der Bundesregierung angekündigte „Paket für mehr Partnerschaftlichkeit“. In diesem eigenen Gesetzgebungsvorhaben sollen mehrere Aspekte, die thematisch eigentlich im VRUG hätten mitgeregelt werden können, aufgegriffen werden.  

So sieht das „Paket für mehr Partnerschaftlichkeit“ folgende Eckpunkte vor:

  • Die Einführung einer zweiwöchigen vergüteten Freistellung für den Partner oder die Partnerin direkt nach der Geburt des Kindes im Mutterschutzgesetz,
  • die Erweiterung der Partnermonate im Elterngeld und
  • die Verlängerung des elternzeitbedingten Kündigungsschutzes nach einer längeren Elternzeit. 

Fazit

Arbeitgeber müssen in der Zukunft Folgendes beachten: 

  • Die Ablehnung eines Antrags auf flexible Arbeitszeitregelungen ist künftig unabhängig von der Betriebsgröße binnen vier Wochen (Elternzeit zwischen Geburt und vollendetem dritten Lebensjahr des Kindes) bzw. binnen acht Wochen (Elternzeit zwischen drittem Geburtstag und vollendetem achten Lebensjahr des Kindes) schriftlich zu begründen. 
  • Auch Beschäftigte in Kleinbetrieben können künftig eine Freistellung nach dem Pflegezeit- oder dem Familienpflegezeitgesetz vereinbaren. Solche Anträge sind innerhalb von vier Wochen nach Zugang des Antrags vom Arbeitgeber zu beantworten und im Fall der Ablehnung zu begründen. Während der Dauer der Freistellung genießen die Beschäftigten einen besonderen Kündigungsschutz. 
  • Beschäftigte können sich an die Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes wenden, wenn sie der Ansicht sind, aufgrund der Inanspruchnahme von Elternzeit, Pflegezeit oder Familienpflegezeit benachteiligt worden zu sein. 

Ob und wann der angekündigte Partnerschaftsurlaub und ein noch weitergehender Kündigungsschutz eingeführt werden, bleibt abzuwarten.

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