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Sonderkündigungsschutz? - Kenn ich alles! Oder doch nicht?

Deutschland ist über die Landesgrenzen hinaus für seinen weitreichenden Kündigungsschutz berühmt und berüchtigt. Während noch allseits bekannt sein dürfte, dass nach sechs Monaten Betriebszugehörigkeit jede Kündigung eines Kündigungsgrundes bedarf, kein „Cherry-Picking“ sondern Sozialauswahl nach festgelegten Kriterien stattzufinden hat und (temporär) gar keine ordentliche Kündigung von Betriebsräten, Schwerbehinderten, Schwangeren oder Arbeitnehmern in Mutterschutz, Eltern- oder Pflegezeit erfolgen kann bzw., in ganz eingeschränkten Fällen, zumindest nur mit behördlicher Zustimmung, so lauern noch viele weitere Fallen, in denen dem Arbeitgeber bzw. der Arbeitgeberin der besondere Kündigungsschutz des Arbeitnehmers bzw. der Arbeitnehmerin schlichtweg gar nicht bekannt ist.

Welcher Sonderkündigungsschutz ist verbreitet?

Die Sonderkündigungsschutztatbestände sind breit gefächert. Bekannt, oder zumindest in den herkömmlichen Sammlungen zu den „Arbeitsgesetzen“ schnell auffindbar, sind die oben erwähnten:

  • Schutz vor Kündigung genießen betriebsverfassungsrechtliche Mandatsträger, jeweils mit unterschiedlicher Dauer. Hierunter fallen die Mitglieder des Betriebsrates, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrates sowie deren Pendants im öffentlichen Dienst und deren Ersatzmitglieder (für die Dauer der Verhinderung des Mitglieds des jeweiligen Gremiums, unabhängig davon, ob das Ersatzmitglied während der Vertretungszeit tatsächlich Aufgaben für das Gremium erledigt). Ferner sind die Mitglieder des Wahlvorstandes, die Wahlbewerber und (zeitlich und von der Anzahl beschränkt) die Arbeitnehmer, die nach § 15 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) zu einer Betriebs-, Wahl- oder Bordversammlung eingeladen haben, vor ordentlichen Kündigungen geschützt. Dasselbe gilt für die Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen (§ 179 Abs. 3 S. 1 SGB IX), die im Inland beschäftigten Mitglieder eines Europäischen Betriebsrats (§ 40 Abs. 1 EBRG), ebenso wie für die Mitglieder des sog. besonderen Verhandlungsgremiums und für die Arbeitnehmervertreter im Rahmen eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung (§ 40 Abs. 2 EBRG) sowie die Mitglieder des SE-Betriebsrats und dessen besonderen Verhandlungsgremiums (§ 42 SEBG). Keinen besonderen Kündigungsschutz sieht das Gesetz für Mitglieder des Sprecherausschusses, des Wirtschaftsausschusses und für Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat vor;
  • Kündigungsschutz haben ebenso schwerbehinderte (und ihnen gleichgestellte behinderte) Menschen nach § 168 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX);
  • Kündigungsschutz genießen auch Schwangere oder Arbeitnehmerinnen in Mutterschutz und danach nach § 17 Mutterschutzgesetz (MuSchG);
  • Schutz vor Kündigungen während der Eltern- oder Pflegezeit wird nach § 18 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) und in § 5 Pflegezeitgesetz (PflegeZG) für die (Familien-)Pflegezeit, in der Regel bereits ab dem Verlangen der Freistellung und nunmehr möglicherweise auch über diese hinaus, gewährt, wenn das von der Bundesregierung angekündigte „Paket für mehr Partnerschaftlichkeit“ kommt.

Im Rahmen von Restrukturierungen ist auch bekannt, dass an einen etwaigen kollektivvertraglichen Sonderkündigungsschutz zu denken ist. Denn viele Tarifverträge sehen Sonderkündigungsschutz für Arbeitnehmer:innen ab einem bestimmten Alter und/oder einer bestimmten Betriebszugehörigkeit vor. Genauso üblich sind in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen Standortsicherungsklauseln, die für eine bestimmte Dauer die ordentliche (betriebsbedingte) Kündigung von Arbeitnehmer:innen ausschließen.

Nicht immer wird jedoch an die nachfolgenden Tatbestände gedacht:

  • Auch dem Auszubildenden kann nach Ablauf der Probezeit gemäß § 22 Abs. 2 S. 1 Berufsbildungsgesetz (BBiG) vom Arbeitgeber nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Ein solcher ist nach der Rechtsprechung nur dann gegeben, wenn das Ausbildungsziel erheblich gefährdet und die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses unzumutbar ist.
  • Verpflichten sich Frauen oder Männer, freiwilligen Wehrdienst zu leisten, erhalten sie den gleichen Status wie (frühere, oder, im Falle der Feststellung des Spannungs- oder Verteidigungsfalles, heutige) Wehrpflichtige, § 58 f Soldatengesetz (SG). Damit darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ab der Zustellung des Einberufungsbescheides bis zur Beendigung des Wehrdienstes nicht kündigen (§ 2 Abs. 1, 16 Abs. 7 Arbeitsplatzschutzgesetz (ArbPlSchG)). Während jedoch § 2 ArbPlSchG auch für Zivildienstleistende entsprechend gilt (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 Zivildienstgesetz (ZDG)), findet dieser auf Teilnehmer des Bundesfreiwilligendienstes keine Anwendung; dies dürfte zwar überraschend sein, dürfte aber darin begründet liegen, dass zumindest der Bundesfreiwilligendienst regelmäßig unmittelbar nach dem Ende der Schulzeit erfolgt und es damit nach Auffassung des Gesetzgebers keines Arbeitsplatzschutzes bedarf.

Welchen Sonderkündigungsschutz sieht das Gesetz noch vor?

Einige, dem nicht in der Personalabteilung Beschäftigten, eher unbekannte Tatbestände sind meist ebenfalls in den einschlägigen Arbeitsrechtssammlungen zu finden, ergeben sich aber nicht notwendigerweise aus dem Stichwortverzeichnis zum „Besonderen Kündigungsschutz“. Hierzu gehören insbesondere z. B. die Sonderkündigungsschutztatbestände für betriebliche Sonderbeauftragte:

  • Der aufgrund gesetzlicher Verpflichtung bestellte Datenschutzbeauftragte genießt gemäß §§ 6 Abs. 4 S. 2, 38 Abs. 2 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) Sonderkündigungsschutz. Der Arbeitgeber darf sein Arbeitsverhältnis nicht ordentlich kündigen, sondern nur außerordentlich fristlos, sofern ein wichtiger Grund vorliegt. Dieser Kündigungsschutz wirkt gemäß § 6 Abs. 4 S. 3 BDSG für ein Jahr nach Ende der Tätigkeit als Datenschutzbeauftragter nach. Entfällt das der Bestellung zu Grunde liegende Arbeitsverhältnis, stellt dies einen wichtigen Grund gemäß § 6 Abs. 4 S. 1 BDSG dar, der den Arbeitgeber sodann auch berechtigt, den Datenschutzbeauftragten abzuberufen; ansonsten ist auch die Abberufung nur in entsprechender Anwendung des § 626 BGB zulässig. Dieser durch das BDSG normierte sehr weitreichende Schutz des betrieblichen Datenschutzbeauftragten gegen Benachteiligung und Abberufung, und gegen eine ordentliche Kündigung, ist, wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) nach Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union erst kürzlich bestätigte (BAG Urteil vom 25. August 2022 – 2 AZR 225/20, NZA 2022, 1457), auch mit Unionsrecht und nationalem Verfassungsrecht (insbesondere Art. 12 GG) vereinbar und gilt, wie alle Sonderkündigungsschutztatbestände, auch während der Probezeit und der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG. Das BAG betonte dabei, dass der Sonderkündigungsschutz nach § 38 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. § 6 Abs. 4 BDSG insbesondere deshalb nicht unverhältnismäßig sei, da der nichtöffentliche Arbeitgeber bei der erstmaligen Benennung eines Datenschutzbeauftragten die freie Wahl habe, ob er einen internen, und damit dem Sonderkündigungsschutz unterliegenden, oder einen externen Datenschutzbeauftragten benennen wolle.
  • Auch der aufgrund gesetzlicher Verpflichtung nach § 7 Abs. 1 Geldwäschegesetz (GWG) oder aufgrund Anordnung der Aufsichtsbehörde nach § 7 Abs. 3 GWG bestellte Geldwäschebeauftragte sowie dessen Stellvertreter genießen besonderen Kündigungsschutz. Nach § 7 Abs. 7 S. 2 GWG ist die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses (während der Dauer ihrer Bestellung) unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, welche die verantwortliche Stelle zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Vor einer Kündigung wegen Verdachtsmeldungen oder Anzeige gegen den Arbeitgeber ist der Geldwäschebeauftragte dadurch abgesichert, dass ihm und seinem Stellvertreter nach § 7 Abs. 7 S. 1 GWG aufgrund der Erfüllung ihrer Aufgaben kein Nachteil im Beschäftigungsverhältnis entstehen darf. Im Falle des Geldwäschebeauftragten können wichtige Kündigungsgründe neben den üblichen typischen Situationen jedoch unter Anderem das Unterlassen von Verdachtsanzeigen zur Verschleierung von Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung oder ein sonstiger erheblicher Missbrauch der Position in diesem Zusammenhang sein. Auch für ein Jahr nach der Abberufung als Geldwäschebeauftragter oder Stellvertreter besteht fortwirkender Kündigungsschutz.
  • Betreiber genehmigungspflichtiger Anlagen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) sind gesetzlich verpflichtet, einen oder mehrere Betriebsbeauftragte für Immissionsschutz (Immissionsschutzbeauftragte) zu bestellen, sofern dies nach § 53 BImSchG erforderlich ist. Wird ein Arbeitnehmer aufgrund gesetzlicher Erfordernisse zum Immissionsschutzbeauftragten bestellt, ist er ab seiner Bestellung ordentlich unkündbar (§ 58 Abs. 2 S. 1 BImSchG). Gleiches gilt für den Störfallbeauftragten nach § 58 d BImSchG, den Betriebsbeauftragten für Abfall (Abfallbeauftragten) nach § 59 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) und den Betriebsbeauftragten für Gewässerschutz (Gewässerschutzbeauftragten) nach § 66 Wasserhaushaltsgesetz (WHG), für deren Schutz  jeweils auf § 58  BImSchG verwiesen wird; dies umfasst damit auch den nachwirkenden ordentlichen Kündigungsschutz für ein Jahr vom Zeitpunkt der Beendigung der Bestellung an gerechnet aus § 58 Abs. 2 S. 2 BImSchG. Die Gruppe der Betriebsbeauftragten zu diesen Zwecken umfasste im vergangenen Jahr immerhin deutschlandweit mehr als 11.500 Personen.
  • Unter besonderem Kündigungsschutz stehen zum Teil auch Arbeitnehmer:innen, die ein politisches Mandat wahrnehmen oder in bestimmten Positionen ehrenamtlich tätig sind:

So normiert zum Beispiel § 2 Abs. 3 AbgG  ein Verbot der ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Bundestagsabgeordneten und -kandidaten. Der Kündigungsschutz beginnt mit der Aufstellung des Bewerbers durch das dafür zuständige Organ der Partei oder mit der Einreichung des Wahlvorschlags und wirkt ein Jahr nach Beendigung des Mandats fort. Die Kündigung aus wichtigem Grund bleibt zulässig.

Art. 48 Abs. 2 S. 2 GG und § 2 Abs. 3 S. 1 AbgG verbieten außerdem die Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen der Übernahme oder Ausübung des Amtes eines Bundestagsabgeordneten. Dasselbe gilt für Abgeordnete des Europäischen Parlaments (§ 3 Abs. 3 EuAbgG). Teilweise (z. B. in Rheinland-Pfalz und Hessen) sieht das Landesrecht auch besonderen Kündigungsschutz für Landtags- (Art. 96 Landesverfassung, § 2 Abs. 3 AbgG RhPf bzw. § 2 Abs. 2 HessAbgG) und Kreistagsabgeordnete (§ 12 a Abs. 2 und 4 LKrO RhPf bzw. § 28 a Abs. 2 HKO) sowie auf kommunaler Ebene, etwa für Gemeinderatsmitglieder, Gemeindevertreter, ehrenamtliche Bürgermeister, Beigeordnete, Mitglieder des Ortsbeirates etc. (§ 18 a Abs. 2 und 4 GemO RhPf bzw. §§ 35a Abs. 2, 39 Abs. 3 S. 3, 39a Abs. 2 u.a. HGO) vor.

Nicht eingeführt wurde hingegen der 2016 in Hessen geplante Sonderkündigungsschutz für ehrenamtliche Feuerwehrangehörige. Für sie gilt, ebenso wie für ihre Rheinland-Pfälzischen Kollegen, lediglich ein Benachteiligungsverbot im Arbeitsverhältnis wegen ihrer Tätigkeit; so dürfen sie nicht aus diesem Grunde entlassen, gekündigt oder in eine andere Gemeinde versetzt werden (§ 11 Abs. 5 Hessisches Brand- und Katastrophenschutzgesetz – HBKG bzw. § 13 Abs. 2 Brand- und Katastrophenschutzgesetz – LBKG Rheinland-Pfalz).

Derartige spezielle Benachteiligungsverbote finden sich bei den meisten der vorstehend erwähnten Personengruppen, die Sonderkündigungsschutz wegen der Ausübung eines (Ehren-)Amtes haben. Gleiches gilt auch für ehrenamtliche Richter nach § 45 Abs. 1a Satz 3 des Deutschen Richtergesetzes (DRiG); von dem in der Norm geregelten Vorbehalt der weitergehenden Regelung zum Schutz dieser Arbeitnehmergruppe auf landesrechtlicher Ebene hat z. B. Brandenburg Gebrauch gemacht. Nach Art. 110 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung des Landes Brandenburg ist eine Kündigung von ehrenamtlichen Richtern während ihrer Amtszeit nur zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber oder Dienstherren zur fristlosen Kündigung berechtigen.

Aus der vorstehenden Aufzählung, die keineswegs vollständig ist, ergibt sich, dass insbesondere bei politischer oder ehrenamtlicher Tätigkeit von Beschäftigten, gegenüber denen eine Kündigung erwogen wird, stets genau geprüft werden sollte, ob diese nicht einem besonderen Schutz unterliegen.

Auch aus dem Arbeitsvertrag kann sich ein besonderer Kündigungsschutz ergeben

Schließlich kann das Kündigungsrecht auch durch vertragliche Vereinbarung beschränkt sein. So ist der arbeitsvertragliche Ausschluss der ordentlichen Arbeitgeberkündigung wirksam, soweit dem Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung verbleibt. Eine Vereinbarung im Arbeitsvertrag, welche die Wirksamkeit der Kündigung von der Zustimmung des Betriebsrats abhängig macht, ist hingegen unwirksam (BAG Urteil vom 23.April 2009 – 6 AZR 263/08, NZA 2009, 915), denn zur Regelung eines solchen Zustimmungsvorbehalts sind nur die Betriebspartner ermächtigt, nicht aber die Parteien des Arbeitsvertrages.

Anzutreffen sind solche vertraglichen Beschränkung z. B. beim Compliance Officer, der keinen besonderen gesetzlichen Kündigungsschutz genießt. Insbesondere für Wertpapierdienstleistungsunternehmen wird nämlich zur Wahrung der Unabhängigkeit des Compliance-Beauftragten eine Ernennung für einen Zeitraum von mindestens 24 Monaten empfohlen. Zur Stärkung des Compliance-Beauftragten wird zusätzlich die Vereinbarung einer 12-monatigen Kündigungsfrist seitens des Arbeitgebers vorgeschlagen (vgl. auch BaFin-Rundschreiben 4/2010 (WA) vom 7. Juni 2010 zu Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion für Wertpapierdienstleistungsunternehmen (MaComp), Teil BT 1.3.3.4, Ziff. 4). In der Praxis wird häufig bereits deshalb ein vertraglich gewährter Sonderkündigungsschutz vereinbart, da ansonsten keine hinreichend qualifizierte Person für diese besondere Aufgabe im Spannungsverhältnis zwischen Aufklärungs- und Loyalitätspflicht zu gewinnen ist.

Fazit

Um im Dickicht des deutschen Kündigungsschutzes keine Fehler zu machen, sind Arbeitgeber:innen gut beraten, wenn sie in jedem Einzelfall genau prüfen, ob sich neben den allseits bekannten Kündigungsbeschränkungen nicht noch weitere Einschränkungen, beispielsweise wegen ehrenamtlicher oder politischer Tätigkeiten ergeben. Hierbei bietet es sich an, bereits im laufenden Arbeitsverhältnis in Betracht kommende Tätigkeiten zu erfassen.

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