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Personalabbau im Rahmen von Restrukturierungen – Umgang mit Schwerbehinderten im Sozialplan
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In Zeiten wirtschaftlicher Krisen – wie sie aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie, der gestiegenen Energiepreise sowie der hohen Inflation derzeit vermehrt auftreten – sind Arbeitgeber1 oft zu Restrukturierungsmaßnahmen und insbesondere zum Personalabbau gezwungen. In vielen Betrieben muss hierbei ein Sozialplan mit dem Betriebsrat abgeschlossen werden, der die durch den Personalabbau bedingten Nachteile für die Arbeitnehmer mildern soll. Sofern in einem solchen Sozialplan Sonderregelungen für Schwerbehinderte2 geschaffen werden, ist Vorsicht geboten. Der EuGH und das BAG stellen hohe Anforderungen an die Wirksamkeit entsprechender Regelungen. Werden diese nicht beachtet, haben Schwerbehinderte zusätzliche Ansprüche und das Sozialplanvolumen kann im Einzelfall erheblich steigen.
Allgemeines zum Sozialplan
Besteht im Betrieb ein Betriebsrat und werden bestimmte Schwellenwerte erreicht, ist bei einem Personalabbau zwingend ein Sozialplan abzuschließen. Ein Sozialplan ist eine Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die Arbeitnehmern infolge des geplanten Personalabbaus entstehen.
Typischerweise werden in einem Sozialplan Regelungen zu Abfindungen, Weiterbildungsmaßnahmen oder Transfergesellschaften getroffen.
Zur Berechnung von Abfindungen ist es üblich, eine Formel anzuwenden, die zumeist vereinfacht wie folgt aussieht:
Dauer der Betriebszugehörigkeit in Jahren x Bruttomonatsentgelt x Faktor
Der Faktor hängt hierbei insbesondere von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens und der jeweiligen Branche ab. Der Faktor kann entweder einheitlich ausgestaltet werden oder es können (wie zumeist üblich) unterschiedliche Faktoren für verschiedene Arbeitnehmergruppen vereinbart werden. Regelmäßig wird hierbei älteren Arbeitnehmern aufgrund ihrer statistisch schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt ein höherer Faktor zugebilligt als jüngeren Arbeitnehmern.
Besondere Herausforderungen bei der Aufstellung von Sozialplänen in Zusammenhang mit Schwerbehinderten
Die unmittelbare Benachteiligung Schwerbehinderter ist nach dem Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) unzulässig. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Regelung direkt an die Schwerbehinderung anknüpft und alleine aufgrund dieser nachteilig für Schwerbehinderte ist. Aber auch eine nur mittelbare Benachteiligung ist grundsätzlich unzulässig. Eine solche liegt vor, wenn es aufgrund einer allgemeinen Regelung, die nicht an die Schwerbehinderung anknüpft, dennoch zu Nachteilen für Schwerbehinderte kommt. Eine mittelbare Benachteiligung kann ausnahmsweise dann gerechtfertigt sein, wenn eine angemessene berufliche Anforderung einer Gleichbehandlung entgegensteht. Diese Rechtfertigung kann im Rahmen von Einstellung oder Versetzungen relevant werden, scheidet bei der Berechnung von Abfindungen jedoch grundsätzlich aus.
Eine Sozialplanregelung, die Schwerbehinderte ungerechtfertigt benachteiligt, ist somit unwirksam. Schwerbehinderte haben in der Folge einen Anspruch darauf, so behandelt zu werden als wären sie nicht benachteiligt worden. Im Einzelfall kann dies zu erheblich höheren Abfindungen für Schwerbehinderte führen. Da eine Neuverhandlung des Sozialplans ausscheidet, erhöht sich hierdurch das Gesamtvolumen des Sozialplans („Anpassung nach oben“). Nach dem BAG ist eine Anpassung nach oben selbst dann vorzunehmen, wenn sie zu erheblichen finanziellen Belastungen des Arbeitgebers führt. Um das Risiko solcher finanziellen Zusatzbelastungen zu vermeiden, ist bei der Aufstellung von Sozialplänen genau darauf zu achten, dass deren Regelungen Schwerbehinderte nicht ungerechtfertigt benachteiligen.
Im Folgenden ein Überblick zu den häufigsten Fehlern:
- Abfindungsberechnung unter Einbeziehung des frühestmöglichen Bezugs einer Altersrente
Nach § 10 S. 3 Nr. 6 Alt. 2 AGG können Arbeitgeber und Betriebsrat Sozialplanleistungen entsprechend ihrem zukunftsgerichteten Entschädigungscharakter bei „rentennahen“ Arbeitnehmern stärker an den tatsächlich eintretenden wirtschaftlichen Nachteilen orientieren, die den Arbeitnehmern durch den bevorstehenden Arbeitsplatzverlust und eine darauf zurückgehende Arbeitslosigkeit drohen. Durch diese Gestaltungsmöglichkeit kann das Anwachsen der Abfindungshöhe, das mit der Verwendung der Parameter Betriebszugehörigkeit und/oder Lebensalter bei der Bemessung der Abfindung zwangsläufig verbunden ist, bei abnehmender Schutzbedürftigkeit im Interesse der Verteilungsgerechtigkeit zu Gunsten der jüngeren Arbeitnehmer begrenzt werden. Konkret bedeutet dies, dass viele Sozialpläne vorsehen, dass rentennahe Arbeitnehmer eine geringere Abfindung erhalten als andere Arbeitnehmer. Nach der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung stellen solche Regelungen keine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters dar.
In der Praxis werden entsprechende Regelungen zumeist so formuliert, dass auf den Beginn des frühestmöglichen Rentenbeginns abgestellt wird, d.h. etwa eine Sonderregelung für rentennahe Arbeitnehmer geschaffen wird und zur Definition rentennaher Arbeitnehmer darauf abgestellt wird, wie viele Jahre diese bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch vom frühestmöglichen Rentenbeginn entfernt sind.
Eine solche Regelung führt jedoch im Fall von Schwerbehinderten zu Problemen: Das Mindestalter zum Bezug einer Rente liegt bei Schwerbehinderten unterhalb des Mindestalters anderer Arbeitnehmer, d.h. Schwerbehinderte können früher in Rente gehen als andere Arbeitnehmer.
Das AGG setzt europäisches Recht (insbesondere die Gleichbehandlungs-Rahmen-Richtlinie) um. Für die Auslegung der entsprechenden Richtlinie ist der EuGH zuständig. Dieser hat deutlich gemacht, dass das Abstellen auf den frühestmöglichen Renteneintritt bei der Berechnung einer Abfindungszahlung eine Benachteiligung Schwerbehinderter gerade wegen der Behinderung darstellt. Bei im Übrigen gleichen Voraussetzungen erhalten Schwerbehinderte alleine wegen ihres aufgrund der Schwerbehinderung möglichen früheren Rentenbeginns eine geringere Abfindung. Das BAG hat im Einklang hierzu in aktuellen Entscheidungen entschieden: Jede Minderung der Abfindung durch einen Einbezug des frühestmöglichen Rentenbeginns benachteiligt Schwerbehinderte unzulässig.
Es empfiehlt sich daher, bei einer entsprechenden Regelung, die auf den frühestmöglichen Rentenbeginn abstellt, explizit auch zu regeln, dass insoweit der aufgrund einer Schwerbehinderung früher mögliche Rentenbeginn außer Acht bleibt.
- Höchstbetragsgrenzen
Üblicherweise wird in der Praxis in Sozialplänen eine Formel vereinbart, nach der sich die jeweilige Abfindung berechnet. Da diese Formel in der Regel die Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers berücksichtigt, kann es bei besonders langjährig Beschäftigten im Einzelfall zu sehr hohen Abfindungen kommen. Diese sehr hohen Abfindungen übersteigen das zur Milderung der durch die Betriebsänderung erforderliche Maß teils erheblich und führen zudem zu starken finanziellen Belastungen für den Arbeitgeber. Nach der Rechtsprechung des BAG sind daher sog. Höchstbetragsgrenzen in Sozialplänen grundsätzlich zulässig. Entsprechende Klauseln regeln zumeist, dass in einem ersten Schritt die vereinbarte Formel zur Berechnung der Abfindung angewandt wird. In einem zweiten Schritt wird jedoch geprüft, ob die so errechnete Abfindung einen bestimmten Höchstbetrag übersteigt. Ist dies der Fall, erhält der Arbeitnehmer „nur“ den Höchstbetrag.
Die meisten Sozialpläne gehen jedoch über die Anwendung einer Formel hinaus und sehen bestimmte Zuschläge, insbesondere für Schwerbehinderte vor. Schwerbehinderte bekommen damit beispielsweise EUR 2.000 brutto als zusätzliche Abfindung. Nach dem BAG sind solche Zuschläge zulässig, wenn und soweit sie dazu dienen, mit der Schwerbehinderung einhergehende Nachteile (etwa auf dem Arbeitsmarkt) auszugleichen.
Problematisch wird es, wenn in einem Sozialplan ein Höchstbetrag mit einem Zuschlag für Schwerbehinderte kombiniert wird. Hierbei ist entscheidend, wann der Zuschlag rechnerisch berücksichtigt wird. Wird im Anschluss an die Anwendung der Formel der Zuschlag hinzuaddiert und erfolgt danach der Abgleich mit dem Höchstbetrag, liegt hierin eine nach dem BAG unzulässige Benachteiligung Schwerbehinderter, da bei diesen der Höchstbetrag alleine wegen des Zuschlags schneller erreicht wird als bei anderen Arbeitnehmern.
Es ist mithin darauf zu achten, dass folgende Abfolge der Berechnung eingehalten wird:
- Anwendung der Formel
- Abgleich mit dem Höchstbetrag
- Addition des Zuschlags
Alternativ denkbar und wohl zulässig dürfte es auch sein, unterschiedliche Höchstbeträge für Schwerbehinderte und andere Arbeitnehmer zu vereinbaren. Rechtssicherer ist es jedoch, etwaige Zuschläge für Schwerbehinderte erst nach Anwendung der Höchstbetragsgrenze zu berücksichtigen.
Praxisauswirkung
Besonderes Augenmerk sollte bei der Aufstellung von Sozialplänen darauf gelegt werden, diese benachteiligungsfrei zu gestalten. Je komplexer und differenzierter (insbesondere nach unterschiedlichen Arbeitnehmergruppen) die Berechnung hierbei ausgestaltet werden soll, desto genauer ist auf die Formulierung der jeweiligen Regelungen zu achten. Insbesondere im Zusammenhang mit Schwerbehinderten kann es ansonsten zu einer erheblichen Erhöhung des Sozialplanvolumens kommen.
Fußnoten
1Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird durchgehend das generische Maskulinum verwendet; es werden jedoch ausdrücklich alle Geschlechteridentitäten hiervon erfasst.
2Dies umfasst auch schwerbehinderten Arbeitnehmern gleichgestellte Menschen i.S.d. § 2 Abs. 3 SGB IX.