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Hat das deutsche Konzernleihe-Modell bald ausgedient?
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Erkrankung nach Kündigung – Müssen Arbeitgeber das so hinnehmen?
Die Frage nach einer möglichen Europarechtswidrigkeit des sogenannten Konzernprivilegs in § 1 Abs. 3 Nr. 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz („AÜG“) dürfte bald erstmals vor dem Bundesarbeitsgericht („BAG“) verhandelt werden. Womöglich könnte sich künftig auch der Europäische Gerichtshof („EuGH“) mit dieser Frage beschäftigen.
Ausgangspunkt hierfür ist die Klage eines Arbeitnehmers, der von seinem Arbeitgeber über die für eine Überlassung zulässige Höchstdauer von 18 Monaten hinaus einem anderen konzernangehörigen Unternehmen überlassen wurde. Der Arbeitnehmer sah deshalb ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit dem anderen konzernangehörigen Unternehmen als zustande gekommen an und klagt dies ein. Er stützt sich dabei hauptsächlich darauf, dass das Konzernprivileg, das konzerninterne Überlassungen von der Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten ausnimmt, mit der europäischen Leiharbeitsrichtlinie (Richtlinie 2008/104/EG) unvereinbar sei.
Konzernleihe - was ist das?
Eine Konzernleihe liegt vor, wenn Arbeitnehmer1 zwischen (mindestens) zwei rechtlich selbstständigen Unternehmen, die unter einheitlicher Leitung zusammengefasst sind, überlassen werden. Ob die Unternehmen dabei in einem Gleichordnungs- oder Unterordnungsverhältnis zueinander stehen, ist genauso unerheblich wie ihre Rechtsform. Die Einheitlichkeit der Leitung ist kennzeichnend für das Vorliegen eines Konzerns.
Nicht privilegiert ist die Überlassung von Arbeitnehmern zwischen Konzernunternehmen, wenn der zu überlassende Arbeitnehmer „zum Zwecke der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird“. Maßgeblich ist dabei der Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses. Liegt dieser trotz Überlassung beim (Vertrags-)Arbeitgeber, ist der Anwendungsbereich des Konzernprivilegs eröffnet. Hierfür ist der tatsächliche Einsatz des Arbeitnehmers entscheidend. Die bloße Vereinbarung einer Konzernversetzungsklausel im Arbeitsvertrag, die als arbeitsvertragliche Grundlage für eine konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung dienen kann, ist für sich genommen daher unschädlich. Sie ermöglicht dem Arbeitgeber lediglich einen konzernweiten Einsatz des Arbeitnehmers.
Im Anwendungsbereich des Konzernprivilegs kommt der Arbeitgeber in den Genuss weitreichender Erleichterungen im Vergleich zur „normalen“ Arbeitnehmerüberlassung. So ist die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung nicht erlaubnispflichtig. Die starre 18-monatige Höchstüberlassungsdauer gilt nicht. Auch die strengen formellen Anforderungen im Zusammenhang mit der Überlassung entfallen und der Equal Pay-Grundsatz ist nicht anwendbar. Die privilegierte konzerninterne Arbeitsnehmerüberlassung erweist sich daher für Arbeitgeber als attraktiv, weil sie unternehmerische Freiräume im Personalbereich schafft, mit der vergleichsweise spontan auf geänderte operative Rahmenbedingungen reagiert werden kann.
Und ist das Konzernprivileg nun europarechtswidrig?
Im Ausgangsrechtsstreit argumentiert der Kläger, dass die Leiharbeitsrichtlinie keinerlei Ausnahme für den Bereich der Konzernleihe vorsehe. Daher sei das Konzernprivileg des AÜG in seiner jetzigen Form europarechtswidrig. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG müsse so gelesen werden, dass eine Privilegierung bereits dann ausscheide, wenn der Arbeitnehmer „zum Zweck der Überlassung eingestellt oder beschäftigt wird“. Bei einer solchen Lesart wäre aber jedwede konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung nicht privilegiert; das Konzernprivileg würde vollständig leerlaufen.
Das Landesarbeitsgericht („LAG“) Niedersachsen (Urteil vom 12. Januar 2023 – 5 Sa 212/22) hat dies – wie auch das erstinstanzliche Arbeitsgericht – anders gesehen und ist der Auffassung des Klägers zu Recht nicht gefolgt. Zwar müsse der Leiharbeitsrichtlinie zur bestmöglichen Geltung verholfen werden. Nationales Recht – hier das Konzernprivileg aus § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG – sei daher grundsätzlich europarechtskonform auszulegen. Jedoch hat das LAG zutreffend erkannt, dass die europarechtskonforme Auslegung in Wortlaut und gesetzgeberischem Willen seine Grenzen findet. Eine europarechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts, die dessen Wortlaut und gesetzgeberischen Willen gänzlich ins Gegenteil verkehrt, ist somit nicht zulässig. Genau das hätte die vom Kläger angelegte Lesart aber zur Folge. Ein Überschreiten dieser Grenzen ist im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und (nichtstaatlichen) Arbeitgeber nur in sehr engen Ausnahmefällen zulässig, etwa wenn mit der Richtlinie, mit der die nationale Rechtsvorschrift unvereinbar ist, im europäischen Primärrecht verankerte Rechtsgrundsätze konkretisiert werden. Dies ist bei der Leiharbeitsrichtlinie aber nicht der Fall, weshalb das Konzernprivileg weiterhin Geltung beanspruchen kann.
In der Sache hat sich das LAG Niedersachen freilich nicht mit der Europarechtswidrigkeit des Konzernprivilegs auseinandergesetzt. Auf die in der Literatur angebrachten starken Bedenken an der Europarechtswidrigkeit, die auch der Kläger vorträgt, ist es folgerichtig nicht eingegangen, da es hierauf im Fall nicht ankommt. Denn das Konzernprivileg wäre selbst im Falle der Europarechtswidrigkeit weiterhin anzuwenden, weil die Leiharbeitsrichtlinie den Geltungsanspruch § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG nicht verdrängen könnte.
Wie geht es jetzt weiter?
Aktuell ist die Revision des Klägers beim BAG anhängig, mit einer Entscheidung ist jedoch nicht vor Ende des Jahres zu rechnen.
Das Verfahren könnte sich durch eine Vorlage an den EuGH erheblich in die Länge ziehen. Ob es zu einer Vorlage kommt, ist jedoch fraglich. Zwar kann (und muss) dass BAG bei Zweifeln über die Vereinbarkeit von nationalem Recht mit europäischem Recht dem EuGH vorlegen. Dies gilt aber nur dann, wenn es hierauf im konkret zu entscheidenden Rechtsstreit ankommt, was wiederum das BAG in eigener Verantwortung beurteilt. Genau dies hat das LAG Niedersachen aber, ebenso wie das Arbeitsgericht, verneint. Das BAG könnte sich dieser Sichtweise anschließen und damit eine Vorlage ablehnen. Immerhin wäre dann zu erwarten, dass das BAG höchstrichterlich klärt, dass das Konzernprivileg einer europarechtskonformen Auslegung nicht zugänglich ist. Dies wäre erfreulich, weil hiermit für die Praxis klare Verhältnisse geschaffen würden, die nur der Gesetzgeber mit einer Neuregelung beseitigen könnte.
Fazit
Insofern sollten Arbeitgeber die Entwicklungen genau beobachten und insbesondere im Blick halten, ob das BAG dem EuGH vorlegt. Eine „Abschaffung“ des Konzernprivilegs droht kurzfristig jedenfalls nicht – selbst wenn das BAG sich dazu entschließen sollte, dem EuGH vorzulegen. Ein blindes Vertrauen darauf, dass das Konzernprivileg Arbeitgebern mittel-, langfristig oder gar zeitlich unbegrenzt zur Verfügung stehen wird, ist in Anbetracht der hiergegen vorgebrachten Kritik und der besonderen Praxisrelevanz der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung jedoch nicht angebracht. Spätestens in dem (zumindest aus Anlass des gegenwärtigen Rechtsstreits eher unwahrscheinlichen) Fall, dass der EuGH mit der Frage befasst wird, sollten alternative Gestaltungsmöglichkeiten geprüft werden, um auf einen etwaigen Wegfall der weitreichenden Erleichterungen des Konzernprivilegs vorbereitet zu sein.
Fußnoten
1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird durchgehend das generische Maskulinum verwendet; es werden jedoch ausdrücklich alle Geschlechteridentitäten hiervon erfasst.