Skip to content

Fremdpersonaleinsatz und Compliance-Systeme

In der Arbeitswelt ist ein stetig wachsendes Bedürfnis nach Flexibilität erkennbar. Viele Menschen wollen sich nicht mehr für lange Zeit an einen Arbeitgeber binden, sondern lieber die Möglichkeit haben, autonom darüber zu entscheiden, für welches Unternehmen, an welchem Ort, zu welchen Uhrzeiten und wie viel sie arbeiten. Aus Sicht der Unternehmen bietet die Beschäftigung von Fremdpersonal einige Vorteile, indem vor allem Personalbedarf kurzfristig überbrückt werden kann. Die Vorteile des Fremdpersonaleinsatzes stehen in der Praxis auch zumeist derart im Vordergrund, sodass die mit dem Fremdpersonaleinsatz einhergehenden, teilweise erheblichen rechtlichen Risiken für die Unternehmen und die handelnden Personen häufig unterschätzt oder jedenfalls nachrangig berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang kommen nicht nur die rechtlichen Berater ins Spiel, sondern vor allem auch gut ausgerichtete Compliance-Systeme, mit denen Risiken identifiziert und diesen entgegengewirkt werden können.

Was ist Fremdpersonaleinsatz?

Als Fremdpersonaleinsatz wird grundsätzlich die Beschäftigung von externen Beschäftigten verstanden; das heißt solche Beschäftigte, die bei dem Unternehmen nicht in einem eigenen abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen. Typische Formen des Fremdpersonaleinsatzes sind die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern, Selbstständigen (Freelancern) oder die vollständige Auslagerung bestimmter Tätigkeiten auf Drittunternehmen (wie etwa Gebäudereinigung).

Mit zunehmender Häufigkeit ist insofern zu beobachten, dass in Unternehmen Selbstständige beispielsweise als Berater oder als Interim-Manager eingesetzt werden. Zwischen dem Unternehmen und dem Selbstständigen wird ein Vertrag (Dienst- oder Werkvertrag) abgeschlossen, der Selbstständige erbringt die Leistung in der Regel höchstpersönlich und stellt diese dem Unternehmen unmittelbar in Rechnung.

Dem Einsatz von Fremdpersonal kann auch eine dreiseitige Vertragsbeziehung zugrunde liegen. Beim sog. Contracting verpflichtet sich eine Personalvermittlungsagentur gegenüber einem anderen Unternehmen zur Erbringung bestimmter Dienstleistungen oder zur Herstellung eines Werks gegen Zahlung eines Honorars und setzt dazu ihrerseits Selbstständige ein. Das Contracting wird vor allem im Bereich der Softwareentwicklung häufig praktiziert. Alternativ ist ebenfalls nicht selten, dass bei der Personalvermittlungsagentur angestellte Arbeitnehmer zur Erbringung der Leistung gegenüber dem Auftragnehmer eingesetzt werden, ohne dass es sich hierbei jedoch um Arbeitnehmerüberlassung durch die die Personalvermittlungsagentur handeln soll.

Zunehmend interessant scheint zudem das spezielle Modell des „Crowdworking“. Dabei bieten Selbstständige ihre Arbeitsleistung auf einer Online-Plattform an und führen auf Grundlage einer mit dem Plattform-Betreiber getroffenen Rahmenvereinbarung meist kleine Aufträge (sog. „Mikrojobs“) aus.

Was ist der Unterschied zum Arbeitsverhältnis?

Das BAG hatte im Rahmen einer viel beachteten Entscheidung zum „Crowdworking“ die Abgrenzung einer selbstständigen Tätigkeit von einem Arbeitsverhältnis zuletzt noch einmal klargestellt (BAG vom 1. Dezember 2020 – 9 AZR 102/20). Danach unterscheiden sich das Arbeitsverhältnis und das Rechtsverhältnis eines Selbständigen durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit des Verpflichteten. Ein Arbeitnehmer leistet weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit. Die Weisungsgebundenheit kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Nur wenn jegliche Weisungsgebundenheit fehlt, liegt in der Regel kein Arbeitsverhältnis, sondern eine selbstständige Tätigkeit vor (BAG vom 1 Dezember 2020 – 9 AZR 102/20).

Aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht ist für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ebenfalls der Grad der persönlichen Abhängigkeit ausschlaggebend. Eine persönliche Abhängigkeit ist gegeben, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert und den Weisungen des Arbeitgebers unterliegt (BSG vom 18. November .2015 – B 12 KR 16/13 R). Im Gegensatz dazu sprechen für eine selbstständige Tätigkeit Umstände wie ein eigenes Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft, die wirtschaftliche Unabhängigkeit durch die Erbringung von Tätigkeiten für verschiedene Unternehmen oder eine größtenteils freie Gestaltung der Arbeitszeit und die freie Wahl des Arbeitsortes (BSG vom 18. November .2015 – B 12 KR 16/13 R).

Die Rechtsprechung nimmt eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls vor. Entscheidend ist vor allem die tatsächliche Umsetzung des Beschäftigungsverhältnisses.

Welche Risiken sind mit dem Fremdpersonaleinsatz für Unternehmen verbunden?

Aus Sicht der Unternehmen sind insbesondere die folgenden Risiken zu beachten, die mit dem „falschen“ Einsatz von Fremdpersonal verbunden sein können:

  • Ist im Zweipersonenverhältnis der Einsatz eines „Scheinselbstständigen“ als Arbeitsverhältnis anzusehen, treffen das Unternehmen die Pflichten eines Arbeitgebers. Der „Scheinselbstständige“ genießt die Schutzrechte eines Arbeitnehmers, wie etwa Kündigungsschutz, und kann z.B. Ansprüche auf Urlaub oder Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gegen das Unternehmen geltend machen.
  • Bei Einsatz eines „Scheinselbstständigen“ ist der Arbeitgeber zur Abführung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags nach § 28e Abs. 1 SGB IV sowie von Säumniszuschlägen aufgrund verspäteter Beitragsabführung nach § 24 Abs. 1 SGB IV an die Einzugsstellen verpflichtet. Zudem ist Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen sowie etwaig zum Abzug gebrachte Vorsteuer aus den gestellten Rechnungen des „Scheinselbstständigen“ zu korrigieren. In Dreipersonenkonstellationen können die Personalvermittlungsagentur und das Unternehmen als Gesamtschuldner haften. Bezogen auf die Lohnsteuer dürfte das Unternehmen nur nachrangig – nach der Personalvermittlungsagentur (steuerrechtlicher Arbeitgeber) – auf Zahlung in Anspruch genommen werden (sog. subsidiäre Haftung).
  • In Dreipersonenkonstellationen besteht zudem das Risiko einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, wenn die Personalvermittlungsagentur keine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis besitzt und der Einsatz nicht ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung bezeichnet wurde. Verstöße gegen das AÜG können u.a. mit Bußgeldern geahndet werden (vgl. § 16 AÜG).
  • Schließlich drohen für die handelnden Personen erhebliche Strafbarkeitsrisiken. Das vorsätzliche Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung kann nach § 266a StGB mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe bestraft werden. Potentielle Täter sind insbesondere die Organe und gesetzliche Vertreter des Unternehmens. Zudem kann eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO oder eine leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 AO vorliegen.

Was können Unternehmen tun?

Angesichts dieser weitreichenden Konsequenzen sollten Unternehmen bereits vor dem Einsatz von Fremdpersonal vorbeugende Maßnahmen treffen, um das Unternehmen selbst und die verantwortlichen Personen im Unternehmen zu schützen. Vor allem beim Einsatz von Fremdpersonal in größerem Umfang ist die Einführung eines Compliance-Managementsystems zu empfehlen, um präventiv Verstöße gegen Gesetze zu verhindern und etwaige bereits erfolgte Verstöße aus der Vergangenheit aufzudecken.

In Betracht kommen vor allem folgende Maßnahmen:

  • Die Mitarbeiter, die für den Abschluss der Verträge zum Einsatz des Fremdpersonals zuständig sind und die tatsächliche Tätigkeit des Fremdpersonals überwachen, sollten zum Umgang mit Fremdpersonal geschult werden. Die Schaffung von Risikobewusstsein auf Ebene der Mitarbeiter ist ein wichtiger Schritt, um Risiken wirksam vorbeugen zu können.
  • Der tatsächliche Einsatz des Fremdpersonals im Betrieb sollte in regelmäßigen Abständen überprüft werden, um eine schleichende Eingliederung von Fremdpersonal zu verhindern. Je nach Umfang des Einsatzes des Fremdpersonals empfiehlt es sich, durch die Rechts- oder Compliance-Abteilung strichprobenartig sowohl die vertragliche Gestaltung als auch den tatsächlichen Einsatz des Fremdpersonals, beispielsweise durch Befragung der beteiligten Personen, zu kontrollieren.
  • In Zweifelsfällen kann ein Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV durchgeführt werden. Ein entsprechender Antrag sollte vor dem Beginn des Beschäftigungsverhältnisses bei der Deutschen Rentenversicherung gestellt werden. Der Verzicht auf die Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens kann in Einzelfällen zu Lasten des Unternehmens gewertet werden.
  • Wurden Verstöße identifiziert, können Offenlegungspflichten gegenüber den Behörden bestehen. Erkennt der Arbeitgeber nachträglich, dass die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig einbehalten wurde, muss der Arbeitgeber sie grundsätzlich nachträglich einbehalten (§ 41c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Ist der nachträgliche Einbehalt nicht mehr möglich, hat der Arbeitgeber dies dem Betriebsstättenfinanzamt unverzüglich anzuzeigen (§§ 41c Abs. 4 Satz 1 EStG). Weitere Anzeige- und Berichtigungsverpflichtungen können außerdem aus § 153 AO folgen. Aus strategischer Sicht ist der proaktive Umgang mit identifizierten Verstößen gegenüber den Finanzbehörden und der Deutschen Rentenversicherung empfehlenswert.

Fazit

Insgesamt ist der Einsatz von Fremdpersonal unter vielen rechtlichen Gesichtspunkten relevant. Das gilt zum einen für die richtige rechtliche Bestimmung des Vertragsverhältnisses vor dem Hintergrund der arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Implikationen. Zum anderen können sich aus Sicht des Steuer- und Strafrechts relevante Anknüpfungspunkte ergeben, die im Falle eines unrichtigen Einsatzes ein unverzügliches Handeln auf Unternehmensseite erforderlich machen. Aufgrund der mit dem Einsatz von Fremdpersonal verbundenen Risiken für das Unternehmen und die handelnden Personen ist es besonders wichtig, die beteiligten Personen aufzuklären und ein Bewusstsein für diese Thematik zu schaffen. Die Implementierung eines wirksamen Compliance-Systems kann Risiken entgegenwirken und dabei helfen, Verstöße frühzeitig zu verhindern oder aufzudecken. Dies kann außerdem in positiver Weise von den Behörden bei der Aufarbeitung von Verstößen gewertet werden.

Weitere relevante Expertise