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EU verabschiedet neue Vorschriften zur Durchsetzung der Lohntransparenz - Sind Sie bereit für die Entgelttransparenzrichtlinie?

Am 24. April 2023 hat der Rat die Entgelttransparenzrichtlinie („EntgTranspRL“) angenommen. Diese soll mittels Entgelttransparenz und entsprechenden Durchsetzungsmechanismen nun die Wende bringen im langjährigen Bestreben in der gesamten EU den Grundsatz des gleichen Lohns für gleiche Arbeit zu gewährleisten. Dieser Grundsatz findet sich immerhin bereits in den Römischen Verträgen aus März 1957. Über 66 Jahre später billigte der Rat nun die EntgTranspRL. Bereits am 30. März 2023 hatte das Europäische Parlament zugestimmt. Ausstehend ist nun nur noch die Veröffentlichung der Richtlinie im EU-Amtsblatt, die in den kommenden Tagen erfolgen wird.

Die Richtlinie stellt aus unionsrechtlicher Sicht einen Meilenstein dar, der aus deutscher Sicht grundlegende und weitreichende Überarbeitungen des Entgelttransparenzgesetzes sowie ggf. weiterer gesetzlicher Vorschriften erforderlich machen wird. Abweichend von der üblichen zweijährigen Umsetzungsfrist bleiben dem nationalen Gesetzgeber hierfür jedoch drei Jahre ab Veröffentlichung der Richtlinie im EU-Amtsblatt. Auf diesen Zeitpunkt sollten sich Unternehmen gut vorbereiten. 

Die Richtlinie sieht insbesondere folgende Verpflichtungen vor, die über die derzeit verbindlichen Vorgaben (EntgTranspG, AGG, Art. 157 AEUV, usw.) in vielfacher Weise hinausgehen.

Offenlegung des Einstiegsgehalts oder dessen Spanne bereits gegenüber Bewerbern (Art. 5 EntgTranspRL)

Art. 5 der Richtlinie sieht vor, dass Bewerber1 nach nationalem Recht einen Anspruch auf Mitteilung des „Einstiegsentgelts für die betreffende Stelle oder dessen Spanne“ erhalten, welches auf objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien beruhen muss. Zudem müssen dem Bewerber die gegebenenfalls einschlägigen Bestimmungen des Tarifvertrags, den der Arbeitgeber in Bezug auf die Stelle anwendet, mitgeteilt werden. Diese Informationen sind durch den Arbeitgeber so bereitzustellen, dass „fundierte und transparente Verhandlungen über das Entgelt gewährleistet werden, wie beispielsweise in einer veröffentlichten Stellenausschreibung, vor dem Vorstellungsgespräch oder auf andere Weise“. Eine entsprechende Verpflichtung ist bislang im deutschen Recht nicht vorgesehen und dürfte sowohl tarifgebundene als auch nicht-tarifgebundene Arbeitgeber vor erhebliche Herausforderung stellen. Ein bloßer Verweis auf – in aller Regel bei privaten Arbeitgebern nicht öffentlich einsehbare Tarifverträge – dürfte nämlich nicht ausreichen. Eine Zusammenfassung der in einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einer Unternehmensrichtlinie niedergelegte Entlohnungsgrundsätze erscheint aus Gründen der Rechtssicherheit ebenfalls kein gangbarer Weg. Sind Arbeitgeber also künftig faktisch gezwungen sämtliche Vergütungsregelungen, etwaig in Betracht kommenden Bonuspolicies usw. gegenüber allen Bewerbern offenzulegen? Dies hätte wohl auch zur Folge, dass künftig Konkurrenten genaue Kenntnisse über das Gehaltsgefüge des Arbeitgebers erhalten. Es bleibt abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber mit dieser Gemengelage bei der Umsetzung der Richtlinie umgehen wird.

Weitgehendes Auskunftsrecht – Durchschnitt maßgeblich (Art. 7 EntgTranspRL)

Arbeitnehmer können nach Art. 7 Abs. 1 EntgTranspRL von ihrem Arbeitgeber verlangen, dass er sie über ihr individuelles Einkommen und über die durchschnittlichen Entgelthöhen informiert, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und für Gruppen von Arbeitnehmern, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten. Dabei spielt es – im Gegensatz zum Auskunftsanspruch nach dem EntgTranspG – keine Rolle wie groß das Unternehmen ist oder wie viele Arbeitnehmer der Vergleichsgruppe angehören. Es ermöglicht damit indirekt die Kenntnis des Entgelts einzelner Kollegen, wenn es nur zwei vergleichbare Positionen im Unternehmen gibt. Weiterhin wird in der Richtlinie nicht auf den bislang in Deutschland zugrunde gelegten statistischen Median abgestellt, sondern auf die „durchschnittlichen Entgelthöhen“. Die Arbeitnehmer können dieses Recht auch über „ihre Arbeitnehmervertreter im Einklang mit nationalen Rechtsvorschriften“, das heißt den Betriebsrat oder die Gewerkschaft, oder über die Gleichbehandlungsstelle ausüben, so Art. 7 Abs. 2 EntgTranspRL. Der Betriebsrat erwirbt hierüber also ein noch weitergehendes Informationsrecht als es ihm § 80 Abs. 2 BetrVG einräumt. Nach Art. 7 Abs. 3 EntgTranspRL hat der Arbeitgeber innerhalb von zwei Monaten auf das Auskunftsersuchen des Arbeitnehmers zu antworten und nicht wie nach dem EntgTranspG erst nach drei Monaten. Weiterhin muss er die Arbeitnehmer jährlich aktiv über ihr bestehendes Auskunftsrecht informieren, so wie es bereits zum Verfall von Urlaubsansprüchen der Fall ist. Ggf. können diese beiden Informationspflichten in Zukunft miteinander verbunden werden. Zuletzt schreibt Art. 7 Abs. 6 EntgTranspRL vor, dass Arbeitnehmer nicht gehindert werden dürfen, Informationen über ihr Entgelt offen zu legen. Die Mitgliedsstaaten werden verpflichtet, entsprechende vertragliche Vereinbarungen zu verbieten. 

Berichtspflichten – Durchschnitt und Median anzugeben (Art. 9 EntgTranspRL)

Neben den Auskunftsanspruch treten mit der Richtlinie umfangreiche Berichtspflichten. Anders als der Auskunftsanspruch treffen diese nur Arbeitgeber – also Unternehmen – mit mindestens 100 Arbeitnehmern. Kleinere Unternehmen können jedoch durch den nationalen Gesetzgeber verpflichtet werden, ebenfalls folgende Informationen vorzulegen. Arbeitgeber haben hiernach Informationen „zu ihrer Organisation“ u.a. die Differenz zwischen den durchschnittlichen Entgelthöhen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. c EntgTranspRL) und Differenz zwischen der Median-Entgelthöhe von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eines Arbeitgebers (Art. 3 Abs. 1 lit. e EntgTranspRL) vorzulegen. Insofern hat der derzeit gemäß § 11 Abs. 3 EntgTranspG für den Auskunftsanspruch maßgebliche Median noch nicht ausgedient. 

Ab wann und wie häufig die Berichtspflichten greifen, ist abhängig von der Unternehmensgröße. Ab einer Beschäftigtenzahl von 250 Arbeitnehmern sind die Berichte jährlich vorzulegen, beginnend vier Jahre nach dem Tag des Inkrafttretens der Richtlinie, d.h. ein Jahr nach Ende der dreijährigen Umsetzungsfrist. Für Arbeitnehmer zwischen 100 und 250 Arbeitnehmern gelten abgestufte Fristen. Auch hier gehen die Verpflichtungen deutlich über den Status-Quo (§ 21 EntgTranspG) hinaus, welcher zudem bislang nur Unternehmen mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern betraf, die zur Erstellung eines Lageberichts nach §§ 264 und 289 HGB verpflichtet sind.

Gemeinsame Entgeltbewertung mit Arbeitnehmervertretern bei zu großem Lohngefälle (Art. 10 EntgTranspRL)

Ergibt sich aus den Berichten nach Art. 9 EntgTranspRL ein geschlechtsspezifisches Lohngefälle von mindestens 5% (maßgeblich ist also hier wiederum nur der Durchschnitt, der Median bleibt unberücksichtigt!) und kann der Arbeitgeber das Gefälle nicht mit objektiven, geschlechtsneutralen Faktoren begründen, muss der Arbeitgeber „in Zusammenarbeit mit“ seinen Arbeitnehmervertretern eine Lohnbeurteilung durchführen. Diese gemeinsame Entgeltbewertung hat u.a. „Maßnahmen zur Beseitigung von Entgeltunterschieden, wenn diese nicht auf der Grundlage objektiver, geschlechtsneutraler Kriterien gerechtfertigt sind“ zu umfassen. Auch hier bleibt abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber diese Regelung umsetzen wird – kaum denkbar erscheint es jedenfalls, dass die Richtlinie zur Einführung eines entsprechenden Mitbestimmungsrechts verpflichtet. Denn dieses wäre aus Sicht anderer Mitgliedstaaten, die allein Informations- und Anhörungsrechte kennen, ein völliges Novum.

Schadensersatz/Entschädigung für Arbeitnehmer (Art. 16 EntgTranspRL)

Nach Art. 16 Abs. 1 EntgTranspRL sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet dafür zu sorgen, dass Arbeitnehmer, die aufgrund ihres Geschlechts in Hinblick auf das Entgelt benachteiligt wurden, Schadensersatz oder Entschädigung erhalten. Dazu gehören nicht nur die vollständige (Nach-)Zahlung des rückständigen Arbeitsentgelts und entsprechende Prämien oder Sachleistungen, sondern auch Schadensersatz für alle Folgen, die die Diskriminierung verursacht hat, wie beispielsweise entgangene Chancen, immateriellen Schaden oder andere Schäden, die auch durch die Überschneidung mehrerer Diskriminierungsgründe entstehen können.

Weitreichende Beweislastumkehr (Art. 18 EntgTranspRL)

Art. 18 Abs. 2 EntgTranspRL kehrt die Beweislast um: Wenn der Arbeitgeber seinen Transparenzpflichten nicht nachgekommen ist, liegt es in einem möglichen Gerichtsverfahren an ihm, zu beweisen, dass er den Arbeitnehmer nicht in Bezug auf das Entgelt benachteiligt hat – und das in allen Fällen, die die Richtlinie nennt (Artikel 5, 6, 7, 9 und 10 EntgTranspRL). Dies bedeutet, dass – möglicherweise – selbst ein Verstoß gegen die jährliche Aufklärungspflicht über den Auskunftsanspruch (Art. 7 Abs. 3 EntgTranspG) eine Beweislastumkehr nach sich zieht.

Sanktionen (Umsetzung wohl Bußgeld) bei Verstößen gegen Pflichten der EntgTranspRL (Art. 23 EntgTranspRL)

Um das Prinzip des gleichen Lohns für gleiche Arbeit durchzusetzen, müssen die Mitgliedstaaten Sanktionen festlegen, die „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sind, so Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie. Dazu könnten auch Geldbußen gehören, die sich am Jahresumsatz oder der der Gesamtentgeltsumme des Arbeitgebers orientieren. Welche Sanktionen das EntgTranspG, das bislang als „zahnloser Tiger“ kritisiert wurde, in Zukunft vorsieht, bleibt abzuwarten. 

Fazit

Die EntgTranspRL sieht weitreichende Pflichten und einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand vor. Allein aufgrund der EntgTranspRL besteht derzeit für Arbeitgeber in Deutschland jedoch noch kein Handlungsbedarf. Das bedeutet jedoch nicht, dass mit der Herstellung von Lohngleichheit nicht bereits heute begonnen werden sollte: Bereits heute sind Arbeitgeber verpflichtet, sämtliche Benachteiligungen wegen des Geschlechts zu verhindern oder – wo noch vorhanden – zu beseitigen. Dies gilt für sämtliche Arbeitsbedingungen, aber gerade auch für die Entlohnung! In einer idealen Welt sollten Arbeitgeber daher dem Ablauf der Umsetzungsfrist gelassen entgegensehen können. 

 

Fußnoten

1Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird durchgehend das generische Maskulinum verwendet; es werden jedoch ausdrücklich alle Geschlechteridentitäten hiervon erfasst.

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