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Erkrankung nach Kündigung – Müssen Arbeitgeber das so hinnehmen?
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Doch was können Arbeitgeber tun, wenn Arbeitnehmer dieses System missbrauchen? In der Praxis kommt es regelmäßig vor, dass Arbeitnehmer sich nach einer Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist „krankschreiben lassen“. Nach unseren Erfahrungen scheint es für Arbeitnehmer relativ einfach zu sein, einen Arzt zu finden, der eine AUB bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses ausstellt.
Auch wenn die AUB exakt der Kündigungsfrist entsprach, war die Rechtsprechung bisher eher zögerlich, von einer Erschütterung des Beweiswerts der AUB auszugehen. Arbeitgebern blieb meist keine andere Möglichkeit, als das Fernbleiben des Arbeitnehmers von der Arbeit hinzunehmen.
Diese Rechtsprechung ist nun im Wandel.
Beweiswert der AUB
Nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz wird der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit in der Regel durch die Vorlage einer AUB geführt. Der ordnungsgemäß ausgestellten AUB kommt daher aufgrund der normativen Vorgaben im Entgeltfortzahlungsgesetz ein hoher Beweiswert zu.
Wann ist der Beweiswert der AUB erschüttert?
Durch Vorlage der AUB wird die Arbeitsunfähigkeit indiziert, ist jedoch alleine hierdurch noch nicht bewiesen; der Arbeitgeber kann das Indiz erschüttern. Aufgrund des hohen Beweiswerts der AUB genügt jedoch ein bloßes Bestreiten der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber nicht. Vielmehr muss der Arbeitgeber tatsächliche Umstände darlegen und im Bestreitensfall beweisen, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben.
Zweifel können die folgenden Umständen begründen:
- Arbeitnehmer sind auffällig häufig oder auffällig häufig nur für kurze Dauer arbeitsunfähig.
- Der Beginn der Arbeitsunfähigkeit fällt häufig auf einen Arbeitstag am Beginn oder am Ende einer Woche.
- Die Arbeitsunfähigkeit ist von einem Arzt festgestellt worden, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist.
- Der Beginn der Arbeitsunfähigkeit, die durch die AUB nachgewiesen werden soll, liegt vor dem Datum der Ausstellung der AUB (min. 3 Tage nach der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie2, min. 2 Tage nach einer Entscheidung des LAG Köln).
- Erteilung einer AUB ohne Untersuchung oder nur nach telefonischer Rücksprache.
- Ankündigung einer Krankmeldung durch den Arbeitnehmer.
- Krankmeldung nach Ablehnung eines Urlaubsantrags im beantragten Urlaubszeitraum.
- Strapaziöse sportliche Betätigung während der Krankheit.
Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der AUB zu erschüttern, so tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der AUB bestand: Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen. Hierzu ist substantiierter Vortrag z.B. dazu erforderlich, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. Der Arbeitnehmer muss also zumindest laienhaft bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum schildern, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben.
Sonderfall: Arbeitsunfähigkeit während der Kündigungsfrist
Da es in der Praxis immer wieder vorkommt, dass Arbeitnehmer im Zeitraum zwischen Kündigung und Ablauf der Kündigungsfrist „erkranken“, stellt sich für Arbeitgeber die Frage, wann von einer Erschütterung des Beweiswerts der AUB in diesen Fällen ausgegangen werden kann.
In den letzten Jahren sind zahlreiche Urteile zu dieser Konstellation ergangen.
BAG aus September 2021
Die Arbeitnehmerin hatte selbst gekündigt und sich gleichzeitig mit der Kündigungsübergabe „krank gemeldet“. Sie hatte sodann eine AUB passgenau bis zum Ablauf der Kündigungsfrist eingereicht. Aus Sicht des BAG reichte dies, um den Beweiswert der AUB zu erschüttern.
ArbG Neumünster aus September 2022
Der Arbeitnehmer hatte wie im Fall des BAG mehrere AUB vorgelegt, die die Kündigungsfrist nach Eigenkündigung passgenau abgedeckt haben. Allerdings hatte der Arbeitnehmer nicht nur eine AUB, sondern mehrere (Erstbescheinigung und Folgebescheinigungen) vorgelegt. Dies genügte dem ArbG Neumünster dennoch für eine Erschütterung des Beweiswerts. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig.
LAG Mecklenburg-Vorpommern aus Februar 2023
Der Arbeitnehmer hatte nach Eigenkündigung knapp zwei Wochen regulär weitergearbeitet. Sodann hatte er vor einem geplanten Urlaub seinen Büroschlüssel im Büro zurückgelassen. Private Gegenstände hatte er nicht in seinem Büro. Nach seinem Urlaub „erkrankte“ der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Kündigungsfrist.
Alleine das Zurücklassen des Büroschlüssels reicht nach dem LAG nicht zur Erschütterung des Beweiswerts der AUB. Der Arbeitnehmer könne diesen auch schlicht vergessen haben. Im konkreten Fall konnte der Arbeitgeber auch nicht nachweisen, dass der Arbeitnehmer je persönliche Gegenstände im Büro hatte; der Arbeitnehmer hat diese gerade nicht entfernt, sie waren schlicht nie da. Damit verblieb alleine die Krankschreibung bis zum Ende der Kündigungsfrist. Dies alleine genügte dem LAG nicht, um den Beweiswert der AUB zu erschüttern.
LAG Niedersachsen aus Februar 2023
Die Arbeitnehmerin hatte ein befristetes Arbeitsverhältnis. Für die letzten 42 Tage des Arbeitsverhältnisses ist die Arbeitnehmerin „erkrankt“. Dies passte passgenau mit dem 6-wöchigen Entgeltfortzahlungszeitraum zusammen. Aus Sicht des LAG genügte dieser Sachverhalt zur Erschütterung des Beweiswerts der AUB. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig.
LAG Niedersachsen aus März 2023
Der Arbeitnehmer war bereits vor Kündigungsausspruch durch den Arbeitgeber „erkrankt“. Die „Erkrankung“ setzte sich sodann bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fort. Nach dem LAG kann die passgenaue AUB zwar an sich deren Beweiswert erschüttern. Dies gelte auch im Falle der Kündigung durch den Arbeitgeber. Wenn jedoch der Arbeitnehmer bereits vor dem Kündigungsausspruch erkrankt ist, ist der Beweiswert alleine durch die passgenaue AUB nicht erschüttert. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
LAG Schleswig-Holstein aus Mai 2023
Die Arbeitnehmerin war zwei Wochen erkrankt. Die Eigenkündigung wurde am ersten Tag der Erkrankung verfasst, jedoch entsprechend der vierwöchigen Kündigungsfrist dem Arbeitgeber erst am Ende der ersten AUB übergeben. In der Eigenkündigung hatte die Arbeitnehmerin bereits alle Ansprüche hinsichtlich einer Abwicklung des Arbeitsverhältnisses (Urlaubsabgeltung, Arbeitspapiere, etc.) geltend gemacht und dem Arbeitgeber alles Gute gewünscht. Die Arbeitnehmerin war sodann die vier weiteren Wochen bis zum Ende der Kündigungsfrist „erkrankt“. Insgesamt war die Arbeitnehmerin damit – vergleichbar dem Fall des LAG Niedersachsens – die letzten sechs Wochen des Arbeitsverhältnisses „erkrankt“. Aufgrund der Eigenkündigung konnte der Arbeitnehmerin auch zu Beginn des Erkrankungszeitraums das Ende des Arbeitsverhältnisses bereits bekannt sein. Auch der Inhalt des Kündigungsschreibens sprach aus Sicht des LAG dafür, dass die Arbeitnehmerin nicht geplant habe, bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nochmal zu arbeiten. Zusammengenommen genügte dies dem LAG, um den Beweiswert der AUB als erschüttert anzusehen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
ArbG Paderborn aus Juli 2023
Der Arbeitnehmer hatte einen gerichtlichen Vergleich mit dem Arbeitgeber über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossen. Der Vergleich enthielt eine Early-Exit-Klausel. Der Arbeitnehmer war während des Arbeitsverhältnisses häufig erkrankt. Auch nach Vergleichsschluss war der Arbeitnehmer wieder erkrankt. Sodann machte der Arbeitnehmer von der Early-Exit-Klausel Gebrauch und beendete das Arbeitsverhältnis damit vorzeitig. Danach arbeitete der Arbeitnehmer wieder für einen Tag und erkrankte schließlich bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitnehmer hatte vor der letzten Erkrankung eine E-Mail an den Arbeitgeber verfasst, in der er auf Missstände im Betrieb hinwies und sich über die Dienstplanung beschwerte. Dies alleine genügte aus Sicht des ArbG Paderborn nicht, um den Beweiswert der AUB zu erschüttern, da der Arbeitnehmer bereits zuvor häufig erkrankt war und die E-Mail auch so verstanden werden könne, dass der Arbeitnehmer Missstände gerade ausräumen wollte, um das Arbeitsverhältnis bis zu dessen Beendigung „vernünftig“ fortsetzen zu können. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Fazit
Grundsätzlich kommt AUB ein hoher Beweiswert zu. Diesen können Arbeitgeber nur dann erschüttern, wenn gewichtige Anhaltspunkte vorliegen, die gegen eine Erkrankung des Arbeitnehmers im bescheinigten Zeitraum sprechen.
Die Rechtsprechung hat in den letzten Jahren zahlreiche Entscheidungen zum Sonderfall der Erkrankung während der Kündigungsfrist gefällt. Jedenfalls dann, wenn die bescheinigte Erkrankung nach dem Ausspruch einer Eigenkündigung passgenau bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgt, bestehen gute Chancen für Arbeitgeber, dass Arbeitnehmer konkret zu ihren Erkrankungen vortragen müssen und die Vorlage von AUB gerade nicht ausreicht. In allen anderen Fällen bedarf es einer detaillierten Einzelfallprüfung.
Arbeitgebern ist jedoch zu raten, in Zweifelsfällen, die „Erkrankung“ der Arbeitnehmer bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses nicht einfach hinzunehmen.
Fußnoten
1Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird durchgehend das generische Maskulinum verwendet; es werden jedoch ausdrücklich alle Geschlechteridentitäten hiervon erfasst.
2Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 7 SGB V, zuletzt geändert am 15. Dezember 2022.