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Außerkrafttreten der Corona-ArbSchV: Was Arbeitgeber beim Arbeitsschutz nun zu beachten haben

Die Neufassung der SARS-CoV-2 Arbeitsschutzverordnung („Corona-ArbSchV“) trat erst am 1. Oktober 2022 in Kraft. Durch Beschluss der Bundesregierung vom 25. Januar 2023 ist sie nun vorzeitig bereits zum 2. Februar 2023 wieder außer Kraft getreten. Angesichts der Tatsache, dass durch die zunehmende Immunität in der Bevölkerung die Anzahl der Neuerkrankungen stark fällt, sind laut Bundesarbeitsminister Hubertus Heil keine bundesweit einheitlichen Vorgaben zum betrieblichen Infektionsschutz mehr nötig. 

Zu beachten ist derweil, dass in Einrichtungen der medizinischen Versorgung und Pflege weiterhin Corona-spezifische Regelungen des Infektionsschutzgesetzes zu beachten sind. So dürfen Krankenhäuser, Rehabilitations- und Pflegeeinrichtungen bis zum 7. April 2023 weiterhin nur von Personen betreten werden, die eine FFP-2 Maske tragen und über ein negatives Testergebnis i. S. d. § 22a Abs. 3 IfSG verfügen (§ 28b Abs. 1 Nr. 3 IfSG). Auch in weiteren medizinischen Einrichtungen, wie z.B. Arztpraxen, existiert noch bis 7. April 2023 eine FFP-2-Maskenpflicht (vgl. § 28b Abs. 1 Nr. 5 IfSG).

In allen anderen Bereichen können Unternehmen seit dem 3. Februar 2023 wieder weitgehend eigenverantwortlich festlegen, ob und welche Maßnahmen zum Arbeitsschutz und insbesondere zum Infektionsschutz am Arbeitsplatz erforderlich sind. Doch auch nach dem Außerkrafttreten der Corona-ArbSchV sind von jedem Arbeitgeber1 zwingende gesetzliche Vorgaben im Rahmen des Arbeitsschutzes zu beachten. Dabei zählen zu den Herausforderungen des Arbeitsschutzes neben dem Infektionsschutz aktuell der Umgang mit psychischen Belastungen, unterschiedlichen Arbeitsmodellen sowie die Entgrenzung der Arbeitszeit aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung der Arbeitswelt. 

Die Generalklausel des § 618 BGB

Bereits während der Laufzeit der Corona-ArbSchV waren auch weiterhin die allgemeinen einschlägigen gesetzlichen Vorschriften zum Arbeitsschutz zu beachten. Die arbeitsschutzrechtliche Generalklausel des § 618 BGB regelt die Fürsorgepflichten des Arbeitgebers. Danach hat der Arbeitgeber Räume, Vorrichtungen oder Gerätschaften, die er zur Verrichtung der Arbeitsleistung zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten sowie Arbeitsleistungen, die unter seiner Anordnung oder seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass jeder Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leben und Gesundheit geschützt ist. Diese Generalklausel des privaten Arbeitsrechts wird durch die Vorschriften des öffentlich-rechtlichen Gefahrenschutzes, wie z.B. das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) oder die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) sowie durch die nach § 15 SGB VII erlassenen Unfallverhütungsvorschriften konkretisiert. Für die Einrichtung und Unterhaltung von Betriebsräumen wird die Fürsorgepflicht beispielsweise durch die §§ 3   6 ArbStättV konkretisiert. Zu beachten ist, dass die Generalklausel des § 618 BGB dem Arbeitnehmer einen einklagbaren Anspruch auf Erfüllung der Schutz- und Fürsorgepflichten gibt, wobei Verstöße in der Praxis wohl zumeist durch staatliche Aufsichtsbehörden oder den Betriebsrat verfolgt werden.

Vorgaben des Arbeitsschutzgesestzes

Die Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) füllen die Generalklausel des § 618 BGB aus und sind durch Arbeitgeber zwingend einzuhalten. Durch das ArbSchG wird jeder Arbeitgeber dazu verpflichtet, mögliche Gesundheitsgefährdungen für Arbeitnehmer am Arbeitsplatz zu beurteilen und über notwendige und geeignete Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer zu entscheiden. § 3 Abs. 1, Abs. 2 ArbSchG enthält hierbei fünf Grundpflichten, die jeden Arbeitgeber treffen: 

  • Maßnahmen treffen
  • Maßnahmen überprüfen
  • Maßnahmen anpassen
  • für eine geeignete Organisation sorgen 
  • Vorkehrungen zur Beachtung der Maßnahmen treffen

Die §§ 4 bis 14 ArbSchG enthalten sodann spezielle Pflichten, die auf den Grundpflichten aufbauen. Sie können durch weitere spezialgesetzliche Vorschriften ergänzt werden. 

Gefährdungsbeurteilung

Die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung (§§ 5, 6 ArbSchG) steht im Mittelpunkt der nach dem ArbSchG geregelten Pflichten eines Arbeitgebers und ist unerlässlich, um die Pflicht zum Treffen von Maßnahmen aus § 3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG zu erfüllen. Arbeitgeber sind zur Vornahme einer Gefährdungsbeurteilung verpflichtet, um die erforderlichen Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz zu ermitteln. In einem ersten Schritt ist das durch die Arbeit vorliegende Gefährdungspotenzial für die Arbeitnehmer zu eruieren, sodass in einem zweiten Schritt die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes bestimmt werden können (BAG v. 19. November 2019 – 1 ABR 22/18, NZA 2020, 266, 269). Die Gefährdungsbeurteilung stellt dabei nach der Rechtsprechung des BAG kein einmaliges Ereignis dar, sondern „ist angesichts der Dynamik von Arbeitsprozessen und der Weiterentwicklung arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse eine dauerhafte Aufgabe“ (BAG v. 13. August 2019 – 1 ABR 6/18, NZA 2019, 1717, 1724).

Während der Laufzeit der CoronaArbSchV war eines der primären Ziele der Gefährdungsbeurteilung, ein betriebliches Hygienekonzept zur Vermeidung von Corona-Infektionen zu entwickeln. Basierend auf dem derzeitigen Infektionsgeschehen, ist die Entwicklung eines solchen Hygienekonzepts wohl eher von untergeordneter Natur. Nichtsdestotrotz werden auch das Ziel der Vermeidung von Corona-Infektionen bzw. generelle Hygienemaßstäbe zum Schutz vor Ansteckungen bei der Gefährdungsbeurteilung künftig ausdrücklich zu beachten sein. Insofern hat Corona die Arbeitsbedingungen bzw. die Maßstäbe im Arbeitsschutz wohl langfristig verändert.

Neben der nun außer Kraft getretenen Corona-ArbschV gibt es zudem noch weitere Rechtsverordnungen, die auf der Grundlage der §§ 18 und 19 ArbSchG erlassen worden sind, und die ebenfalls bei der Gefährdungsbeurteilung eine Rolle spielen. Dazu zählen zum Beispiel die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV), die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) oder die Arbeitsmedizinische Vorsorge-Verordnung (ArbMedVV).

Auch nach dem Auslaufen der Corona-Pandemie haben sich in vielen Betrieben flexible Arbeitsplatzmodelle etabliert, sodass diese im Hinblick auf die Gefährdungsbeurteilung genauer in den Blick zu nehmen sind. Die Flexibilität besteht dabei oft darin, dass Arbeitnehmer an unterschiedlichen Orten arbeiten können, sei es im Home Office oder auch von unterwegs. Die Gefährdungsbeurteilung hat das Gefährdungspotenzial der konkreten Tätigkeit zu bewerten, was dazu führen kann, dass die Beurteilung bei den verschiedenen Arten des flexiblen Arbeitens unterschiedlich ausfallen kann. Allerdings werden die meisten Tätigkeiten im Home Office wohl nicht die besonderen Voraussetzungen des Telearbeitsplatzes nach § 2 Abs. 7 ArbStättV erfüllen, da es hierfür unter anderem einer gesonderten Vereinbarung bedarf. In diesen Fällen kommen die besonderen Schutzvorschriften der ArbStättV insofern nicht zur Anwendung und es ist auf die Generalklausel des § 618 BGB sowie die allgemeinen Vorschriften des Arbeitsschutzgesetzes zurückzugreifen. Typischerweise können bei diesen Arbeitsformen jedoch Gefährdungen durch unzureichende ergonomische Arbeitsmittel („Küchen-Büro“, Bildschirmgröße, keine höhenverstellbaren Tische, etc.) auftreten – diese sollte der Arbeitgeber bei seiner Beurteilung beachten. 

Weitere Pflichten

In diesem Zusammenhang ist zudem auf § 12 ArbSchG hinzuweisen. Hier ist die Pflicht des Arbeitgebers geregelt, die Beschäftigten über die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeit während ihrer Arbeitszeit ausreichend und angemessen zu unterweisen. Vor allem bei Fortführen flexibler Arbeitsplatzmodelle sollte ein Arbeitgeber die Beschäftigten zumindest über allgemeine Risiken hierzu aufklären – der Gesundheitsschutz hängt insofern vor allem von den örtlichen Gegebenheiten und dem individuellen Verhalten des Beschäftigten ab.

Auch die Verpflichtung zur Einführung eines Zeiterfassungssystems, welche das BAG (v. 13. September 2022 – 1 ABR 22/21 NZA 2022, 1616) in unionsrechtskonformer Auslegung unter § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG subsumiert, fällt in den Bereich des Arbeitsschutzes. Wir berichteten ausführlich am 9. Dezember 2022 zu diesem „Paukenschlag“ des BAG (A&O Blogbeitrag). Hier besteht derzeit allerdings noch kein Anlass zu vorauseilendem Gehorsam. Arbeitgeber sollten prüfen, was in ihrem Betrieb bereits umgesetzt wird bzw. was möglich ist und im Übrigen die vom Gesetzgeber angekündigte Gesetzesänderung abwarten.

Mindestbesichtigungsquote ab dem Jahr 2026

Zudem müssen Arbeitgeber künftig mit mehr Kontrollen in ihrem Betrieb rechnen. Im Jahr 2021 wurde im neuen § 21 Abs. 1 a ArbSchG eine bundesweite Mindestbesichtigungsquote für die staatlichen Aufsichtsbehörden im Arbeitsschutz eingeführt. Nach der Mindestbesichtigungsquote sind ab dem Jahr 2026 mindestens 5 % der im Land vorhandenen Betriebe durch die Arbeitsschutzbehörde zu besichtigen. Die Pflicht soll der Tatsache entgegenwirken, dass in der Praxis seit Jahren eine rückläufige Entwicklung bei der Zahl der von den Arbeitsschutzbehörden durchgeführten Betriebsbesichtigungen zu beobachten ist und gleichzeitig die Zahl der Arbeitsunfälle stetig ansteigt: So verunglückten im Jahr 2021 während der Arbeitszeit so viele Arbeitnehmer wie seit zehn Jahren nicht mehr (Statista). Bis zum Jahr 2026 besteht insoweit eine Übergangsregelung und das Unterschreiten der Quote ist für einen Übergangszeitraum (also ab dem 1. Januar 2021 bis zum Jahr 2026) zulässig, wenn gewährleistet ist, dass die Zahl der zu besichtigenden Betriebe bis zum 1. Januar 2026 schrittweise an den Zielwert herangeführt wird. 

Beteiligung des Betriebsrats

Nicht zu vergessen ist, dass der Betriebsrat bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften zu beteiligen ist (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG). Das Mitbestimmungsrecht wird ausgelöst, sobald dem Arbeitgeber ein Ermessensspielraum bei den erforderlichen Maßnahmen verbleibt. Dies ist der Fall, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht mit dem Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes objektiv besteht, die Festlegung der betrieblichen Umsetzungsregelungen dem Unternehmen jedoch nicht zwingend vorgegeben ist. So hat der Betriebsrat u.a. ein Mitbestimmungsrecht bei der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG. Inhalt des Mitbestimmungsrechts ist u.a. die Frage, wie allgemeine Vorgaben zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung gestaltet werden, d.h. wie die Gefährdungsbeurteilung organisiert und durchgeführt wird. Im Anschluss hat der Betriebsrat dann auch ein Mitbestimmungsrecht bei der Bewertung der nach diesen mitbestimmten Regeln ermittelten Risiken und Gefährdungen und der Auswahl der erforderlichen Schutzmaßnahmen. In der Regel wird es hier für den Arbeitgeber mehrere Handlungsmöglichkeiten geben und somit besteht auch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in Bezug auf die Entscheidung, welche der in Betracht kommenden Maßnahmen umgesetzt werden soll.

Kein Mitbestimmungsrecht hat der Betriebsrat umgekehrt, soweit gesetzlich Handlungspflichten zwingend vorgegeben sind. Ergibt die Gefährdungsbeurteilung beispielsweise, dass konkrete Schutzmaßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zwingend vorgeschrieben sind, so besteht mangels Ermessensspielraum für den Arbeitgeber auch kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Dies wäre z.B. der Fall, wenn bestimmte Schutzkleidung gesetzlich vorgeschrieben ist.

Dem Betriebsrat steht im Rahmen seines Mitbestimmungsrechts dabei auch ein Initiativrecht zu. So kann er beispielsweise die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung verlangen, wenn in bestimmten Bereichen eine solche bislang nicht durchgeführt wurde oder diese unvollständig ist. Auch eine regelmäßige Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 ArbSchG kann er durchsetzen.

Fazit

Auch nach dem Auslaufen der Corona-ArbSchV sind Arbeitgeber dazu angehalten, die zwingenden Vorschriften des Arbeitsschutzes zu beachten. Hierbei dürfte die Frage des Infektionsschutzes auch weiterhin im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigten sein. Auch unter dem Gesichtspunkt der mittlerweile weit verbreiteten flexiblen Arbeitsmodelle müssen sich Arbeitgeber mit den erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes auseinandersetzen. 

 

Fußnoten

1Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird durchgehend das generische Maskulinum verwendet; es werden jedoch ausdrücklich alle Geschlechteridentitäten hiervon erfasst.

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