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Anpassung von Betriebsrenten nach § 16 BetrAVG im Inflationsumfeld und die wirtschaftliche Lage des Unternehmens
27 Juli 2022
Voraussetzungen einer Anpassungsverpflichtung
Der Arbeitgeber hat gemäß § 16 Abs. 1 BetrAVG alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die Belange des Versorgungsempfängers und die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Eine solche Anpassungsverpflichtung ist (nur) dann nicht gegeben, wenn (i) der Arbeitgeber bei nach dem 31. Dezember 1998 erteilten Versorgungszusagen die laufenden Leistungen jährlich um wenigstens 1% erhöht; (ii) die bAV über eine Direktversicherung oder über eine Pensionskasse durchgeführt wird und ab Rentenbeginn sämtliche auf den Rentenbestand entfallende Überschussanteile zur Erhöhung der laufenden Leistungen verwendet werden oder (iii) eine Beitragszusage mit Mindestleistung erteilt wurde.
Wenn feststeht, dass zum Prüfungsstichtag seit dem individuellen Rentenbeginn ein Kaufkraftverlust der Rente eingetreten ist, sind die „Belange des Versorgungsempfängers“ betroffen und Versorgungsempfänger haben grundsätzlich einen Anspruch auf entsprechende Rentenanpassung an den eingetretenen Kaufkraftverlust.
Anpassungsmöglichkeiten
Zur Ermittlung eines Kaufkraftverlustes stehen dem Arbeitgeber unterschiedliche Maßstäbe zur Verfügung: Entweder kann sich der Arbeitgeber (i) an der Entwicklung des Verbraucherpreisindexes (VPI) oder (ii) an der Entwicklung der Nettolöhne von vergleichbaren Arbeitnehmergruppen im Unternehmen orientieren. Dabei kann er grundsätzlich bei jedem Prüftermin (erneut) entscheiden, welchen Maßstab er heranzieht.
Bisher richtet sich ein Großteil der Arbeitgeber in der Praxis nach der Entwicklung des VPI. Da der Referenzzeitraum vom individuellen Rentenbeginn an bis zum jeweiligen Anpassungsstichtag berechnet wird, kann dies allerdings bei kürzlich begonnenen Rentenzahlungen zu deutlichen Erhöhungen führen. So stieg der VPI von Juni 2019 bis Juni 2022 um 11,1 %. Eine monatliche bAV-Rentenleistung in Höhe von EUR 100,00, welche erstmals im Juni 2019 ausgezahlt worden ist, müsste danach ab Juni 2022 auf EUR 111,10 angehoben werden.
Die Nettolöhne der Arbeitnehmer stiegen dagegen in der Regel in den vergangenen drei Jahren nicht in vergleichbarer Höhe an. So wuchs das jährliche durchschnittliche Jahresentgelt von 2019 bis 2022 lediglich um 7,99%; im Tarifbereich der Metall- und Elektroindustrie wurden die Löhne von 2019 bis 2022 sogar lediglich um 4,68% erhöht.
Anpassung nach der Nettolohnmethode – sinnvolle Alternative?
Da die Liquidität in vielen Unternehmen insbesondere bedingt durch die COVID-19-Pandemie, den Halbleitermangel, den Krieg in der Ukraine und den damit verbundenen Rohstoffschwierigkeiten und steigenden Energiekosten stark belastet ist, kann eine erhebliche Rentenanpassung die Gefahr wirtschaftlicher Engpässe für Unternehmen noch weiter verstärken.
Es kann daher durchaus sinnvoll sein, zu prüfen, ob die Rentenanpassung am Maßstab der Nettolohnentwicklung gegenüber einer Anpassung nach dem VPI zu geringeren Kosten führt. Ein weiterer positiver (Neben-)Effekt kann dabei die Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit sein, da bei Zugrundelegung des VPI als Anpassungsfaktor die Rentenzahlungen bei einer hohen Inflationsquote in der Regel deutlich höher steigen als die Gehälter der aktiven Mitarbeiter.
Allerdings ist zu beachten, dass nach § 16 Abs. 2 Nr. 2 BetrAVG erforderlich ist, dass die jeweilige Nettolohnentwicklung anhand „vergleichbarer Arbeitnehmergruppen des Unternehmens“ ermittelt wird, was in der Praxis zu Schwierigkeiten führen kann. So ist es denkbar, dass die vergleichbare Arbeitnehmergruppe im Unternehmen gar nicht mehr existiert oder nicht mehr festgestellt werden kann, zu welcher Arbeitnehmergruppe ein Rentner früher gehörte. Auch ist es denkbar, dass nach Umstrukturierungen keine erforderlichen historischen Einkommensdaten mehr vorliegen. Es wird daher in erster Linie auf eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem Einsparungspotential und dem administrativen Mehraufwand ankommen, der mit einer rechtlich zutreffenden und teilweise komplexen Ermittlung der vergleichbaren Arbeitnehmergruppen verbunden ist.
Eine Anpassung entsprechend der Nettolohnentwicklung ist allerdings in der Regel dann nicht günstiger, wenn es sich um bereits seit langem laufende Rentenzahlungen handelt. So ist der VPI von 1992 bis 2022 um etwa 70,63% gestiegen, während im gleichen Zeitraum die Nettolöhne um 97,52% erhöht worden sind. Insbesondere die Entwicklung der Tariflöhne hat in der Vergangenheit die Steigerung des VPI regelmäßig deutlich übertroffen.
Wann kann eine Anpassung unterbleiben?
Besteht eine Anpassungsverpflichtung, so kann diese dennoch unterbleiben bzw. verweigert werden, wenn die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers einer solchen Anpassung entgegensteht. Dies ist dann der Fall, wenn die Mehrbelastung der Anpassung nicht aus den erwarteten Erträgen finanziert werden kann. Nach der Rechtsprechung müssen hierfür die durch den Teuerungsausgleich verursachten Belastungen ermittelt und in ihren Auswirkungen für die weitere Entwicklung des Unternehmens abgeschätzt werden.
Um beurteilen zu können, ob die Mehrbelastung der Anpassung zukünftig aus erwarteten Erträgen finanziert werden kann, ist eine Prognoseentscheidung erforderlich. Als Grundlage ist dafür die bisherige Entwicklung über einen längeren, repräsentativen Zeitraum von in der Regel mindestens drei Jahren auszuwerten. Hierbei ist zunächst der am Anpassungsstichtag absehbare Investitionsbedarf zu berücksichtigen, was insbesondere im Hinblick auf den Anpassungsdruck durch Klimawandel und Digitalisierung relevant sein kann.
Eine zentrale Rolle im Rahmen der Prognoseentscheidung spielt die nach der Rechtsprechung zugunsten des Unternehmens zu berücksichtigende angemessene Eigenkapitalverzinsung. Kann das Unternehmen eine solche nicht aufweisen, so ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Mehrbelastung der Anpassung nicht aus den erwarteten Erträgen finanziert werden kann. Nach der Rechtsprechung des BAG besteht die angemessene Eigenkapitalverzinsung (für operativ tätige Unternehmen) aus einem Basiszins und einem Risikozuschlag, wobei der Basiszins der Umlaufrendite öffentlicher Anleihen und der Risikozuschlag für alle Unternehmen einheitlich 2% entspricht. Liegt die Eigenkapitalrendite also nicht mindestens zwei Prozentpunkte über der Umlaufrendite öffentlicher Anleihen, kann eine Anpassung unterbleiben. Ob dies der Fall ist, ist auf Basis der nach handelsrechtlichen Vorschriften erstellten Jahresabschlüsse des Unternehmens zu ermitteln. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass nach der Rechtsprechung betriebswirtschaftlich gebotene Korrekturen vorzunehmen sind, wie beispielsweise hinsichtlich von Scheingewinnen oder von überhöhten Abschreibungen.
Allerdings hat dieser Maßstab im noch immer vorherrschenden Niedrigzinsumfeld oft keine repräsentative Aussagekraft über die Kapitalausstattung des anpassungspflichtigen Unternehmens. Auch in Fällen, in denen zur Überwindung von wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf das Eigenkapital zurückgegriffen wurde, ist die Eigenkapitalrendite allein nicht aussagekräftig. Die wirtschaftliche Lage wird daher meist nur aus dem Gesamtbild der durch die Rechtsprechung anerkannten Kriterien und aus deren Zusammenwirken erkennbar sein. So kann ein Umsatzrückgang bei steigendem Gewinn eine gute, bei Verlust hingegen nur eine schlechte wirtschaftliche Lage anzeigen. Häufig ist deshalb anhand mehrerer oder gar aller in Betracht kommenden Maßstäben die wirtschaftliche Lage des Unternehmens zu prüfen.
Daneben stellt sich in Konzernstrukturen die schwierige Frage, auf welche Gesellschaft abzustellen ist oder ob eine Durchgriffshaftung im Konzern auf das herrschende Unternehmen besteht („pierce the corporate veil“). Grundsätzlich findet auch im Betriebsrentenrecht das im Konzernrecht geltende Trennungsprinzip für juristische Personen Anwendung, weshalb eine solche Durchgriffshaftung nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist. Die Rechtsprechung fordert hierbei eine „enge wirtschaftliche Verknüpfung“, die regelmäßig dann gegeben ist, wenn zwischen den Unternehmen ein Beherrschungs- oder ein Gewinnabführungsvertrag besteht. Allerdings zeichnet es sich nach neuerer Rechtsprechung von BAG und BGH ab, dass es daneben zusätzlicher Voraussetzungen bedarf. So soll ein Berechnungsdurchgriff auf die wirtschaftliche Lage des herrschenden Unternehmens (nur noch) dann möglich sein, wenn sich die durch den Beherrschungsvertrag für die Versorgungsempfänger begründete Gefahrenlage verwirklicht hat.
Fazit
Für Unternehmen kann es sich lohnen, sich mit einem Wechsel des Anpassungsmaßstabes für laufende bAV-Leistungen auseinanderzusetzen, da eine Anpassung nach der Nettolohnentwicklung angesichts der aktuellen Inflationslage insbesondere bei kurz laufenden Renten Möglichkeiten zur Kosteneinsparungen bieten kann. Es kann daher durchaus sinnvoll sein, eine Vergleichsberechnung aufzustellen und das bestehende Einsparpotential zu ermitteln. Dabei sollte dieses Einsparungspotential allerdings mit einem etwaig erhöhten Verwaltungsaufwand abgewogen werden, welchen die aus rechtlicher Sicht durchaus problematische Ermittlung der vergleichbaren Arbeitnehmergruppen mit sich bringen kann.
Haben Unternehmen eine Anpassungsverpflichtung – VPI- oder nettolohnentwicklungsbasiert – identifiziert, so kann eine Rentenanpassung gleichwohl unterbleiben, wenn die wirtschaftliche Lage des Unternehmens dieser entgegensteht. Bei der Entscheidung über eine Aussetzung der Anpassung sollte in jedem Fall berücksichtigt werden, dass die Anforderungen an den Nachweis einer wirtschaftlichen Lage nach der Rechtsprechung des BAG komplex und umfangreich sind. Die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage sollte daher im Detail genau geprüft werden, um das Risiko hoher Nachforderungen durch die Versorgungsempfänger zu vermeiden.
