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Überstunden und Teilzeit - regelmäßige oder individuelle Arbeitszeit maßgebend?

28% aller Beschäftigten in Deutschland arbeiten in Teilzeit. Das Thema Überstunden betrifft dabei sowohl voll- als auch teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer1 gleichermaßen. Dennoch sehen viele Tarifverträge und teils auch Betriebsvereinbarungen vor, dass Überstundenzuschläge erst bei Überschreiten der für Vollzeitbeschäftigte geltenden regelmäßigen Arbeitszeit gezahlt werden. Bei einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Stunden für Vollzeitbeschäftigte erhält ein in Teilzeit beschäftigter Arbeitnehmer mit 30 Wochenstunden somit für die Überstunden 31 bis 40 keine erhöhte Vergütung. Erst ab der 41. Stunde würde er nach einer solchen Regelung einen Überstundenzuschlag erhalten. Es stellt sich die Frage, ob darin eine Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten zu sehen ist. Hiergegen spricht, dass der Teilzeitbeschäftigte im beschriebenen Beispiel auch für die 31. bis 40. Stunde exakt die gleiche Vergütung erhält wie ein Vollzeitbeschäftigter. Andererseits kommen Teilzeitbeschäftigte bei Abstellen auf die regelmäßige Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte faktisch seltener in den „Genuss“ von Überstundenzuschlägen. 

Hintergrund

Nach § 4 Abs. 1 TzBfG darf ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer – es sei denn, sachliche Gründe rechtfertigen eine unterschiedliche Behandlung. Ob überhaupt eine Ungleichbehandlung vorliegt, ist im Detail oft schwerer zu beantworten als es auf den ersten Blick scheint. Das BAG hat dabei gerade zum Thema Mehrarbeitsvergütung in Verbindung mit Teilzeitbeschäftigten in den letzten Jahren wiederholt Stellung genommen. Die Rechtsprechung des BAG ist allerdings uneinheitlich, da die verschiedenen beteiligten Senate zu unterschiedlichen Auffassung gelangten bzw. teils innerhalb desselben Senats Rechtsprechungswechsel erfolgten (vgl. die Entscheidungen des BAG v. 25.04.2013 – 6 AZR 800/11; v. 23.03.2017 – 6 AZR 161/16; v. 15.10.2021 – 6 AZR 253/19; v. 19.12.2018 – 10 AZR 231/18; v. 28.10.2021 – 8 AZR 370/20 (A)). Hinzu kommt, dass auch die bisherige EuGH-Rechtsprechung nicht in sich konsistent ist (hierzu sogleich). Zuletzt haben mehrere Senate des BAG dem EuGH entsprechende Vorlagefragen vorgelegt. Die Antworten des EuGH könnten nun endlich Klarheit über die Auslegung des Gleichheitsgrundsatzes geben, aber auch Änderungsbedarf für bestehende Kollektivverträge bedeuten.

Rechtliche Problematik

Ob das Abstellen auf die Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten eine Diskriminierung nach § 4 Abs. 1 TzBfG bedeutet, ist anhand von zwei wesentliche Fragen zu klären:

  • Liegt überhaupt eine Ungleichbehandlung vor?
  • Falls eine Ungleichbehandlung vorliegt: Ist diese durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt?
Ungleichbehandlung

Ob eine Ungleichbehandlung zwischen einem Teilzeitbeschäftigten und einem vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten hinsichtlich der Vergütung vorliegt, ist bei Zulagen und Zuschlägen, die an das Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten anknüpfen, zuvorderst davon abhängig, ob auf die Gesamtvergütung oder spezifisch auf die Zulage/den Zuschlag abgestellt wird. Einerseits kann die Gesamtvergütung herangezogen werden: Betrachtet man die gesamte Vergütung beider Vergleichsgruppen, so ergibt sich, dass der Teilzeitbeschäftigte für die tatsächlich geleistete Arbeit die gleiche Vergütung erhält. Würde der Teilzeitbeschäftigte bereits bei Überschreiten seiner individuellen Arbeitszeit eine Überstundenvergütung erhalten, wäre er gegenüber Vollzeitbeschäftigten nicht gleich-, sondern sogar bessergestellt. Basierend auf der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Helmig (v. 15.12.1994 – C-399/92) waren der Dritte, der Fünfte, der Sechste und der Zehnte Senat des BAG in ihrer Rechtsprechung auch zunächst von einer solchen Gesamtbetrachtung ausgegangen und hatten eine Ungleichbehandlung verneint (vgl. z.B. BAG v. 26.04.2017 – 10 AZR 589/15; v. 16.05.2004 – 5 AZR 448/03). Später positionierten sich jedoch sowohl der Zehnte als auch der Sechste Senat basierend auf der Entscheidung des EuGH Elsner-Lakeberg (v. 27.05.2004 – C-285/02) dahingehend, dass der Entgeltbestandteil des Überstundenzuschlags isoliert zu betrachten sei und die formale Gleichbehandlung mit Blick auf die Gesamtvergütung eine Ungleichbehandlung darstelle. Eine Gesamtbewertung der geleisteten Vergütungsbestandteile scheide aus (BAG v. 23.03.2017 – 6 AZR 161/16; v. 19.12.2018 – 10 AZR 231/18). Zudem liege Entgeltungleichheit vor, wenn Überstunden von Vollzeitbeschäftigten besser vergütet werden als die von Teilzeitbeschäftigten. Denn Letztgenannte hätten insofern auch Überstunden geleistet – ohne dafür eine Zusatzvergütung zu erhalten. Auch die EuGH-Entscheidung Voß (v. 6.12.2007 – C-300/06) brachte keine Klarheit, da sich der Gerichtshof dort zwar auch mit der Frage der Überstundenvergütung für Teilzeitbeschäftigte auseinandersetzte, im Ergebnis jedoch offen ließ, für welche Betrachtungsmethode (Elsner-Lakeberg oder Helmig) sich der EuGH nun ausspricht.

Sachlicher Grund zur Rechtfertigung

Nimmt man – unserer Einschätzung nach wenig überzeugend – in den beschriebenen Konstellationen eine Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten an, liegt noch nicht zwingend eine Diskriminierung nach § 4 Abs. 1 TzBfG vor. Stattdessen muss die Frage beantwortet werden, ob der Zweck der Mehrarbeitsvergütung diese Ungleichbehandlung sachlich rechtfertigen kann. Eine unterschiedliche Behandlung von Teilzeitbeschäftigten kann nur gerechtfertigt sein, wenn sich ihr Grund aus dem Verhältnis von Leistungszweck und Umfang der Teilzeitarbeit herleiten lässt. Üblicherweise sehen tarifliche Regelungen hierbei vor, die erhöhte Vergütung solle einen Ausgleich der Mehrbelastung (sog. Belastungsausgleich) erreichen, welche entstehe, wenn Beschäftigte über die von den Tarifvertragsparteien vorgegebene tarifliche Arbeitszeit hinaus tätig werden. Teilweise sollen die Zuschläge aber auch die Einbuße der Arbeitnehmer an der Dispositionsmöglichkeit über ihre Freizeit belohnen und Arbeitgeber davon abhalten, die Freizeit ihrer Arbeitnehmer in Anspruch zu nehmen. Sehen die Tarifregelungen hierzu keine ausdrückliche Bestimmung vor, ist der Zweck der Regelung durch Auslegung zu ermitteln.

Der Sechste Senat fasste dabei im März 2017 die bisherige Rechtsprechung so zusammen, dass eine Ungleichbehandlung nur unter zwei kumulativen Voraussetzungen gerechtfertigt sein könne: Die tarifliche Regelung müsse den Zweck haben, besondere Belastungen auszugleichen und zugleich zum Ziel haben, den Arbeitgeber von einer solchen übermäßigen Inanspruchnahme abzuhalten (BAG v. 23.03.2017 – 6 AZR 161/16). Die Einschränkung der Dispositionsmöglichkeit über die Freizeit treffe dagegen Teil- und Vollzeitbeschäftigte in gleicher Weise und könne eine Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen.

EuGH-Verfahren Lufthansa CityLine (C-660/20)

Derzeit sind eine Reihe von Verfahren über den Umgang mit Mehrarbeitsvergütungsansprüchen von Teilzeitbeschäftigten vor dem BAG anhängig. Das BAG hat in einigen Verfahren dem EuGH Vorlagefragen zur Klärung vorgelegt. In dem wahrscheinlich aufsehenerregendsten dieser Fälle (C-660/20, BAG-Vorlagebeschluss v. 28.10.2021 – 10 AZR 185/20 (A)) zahlt die beklagte Fluggesellschaft ihren Piloten qua Tarifvertrag eine Zusatzvergütung (sog. „Mehrflugdienststundenvergütung“). Diese wird ausgelöst, sobald der Pilot eine bestimmte Zahl von Arbeitsstunden überschreitet (sog. „Auslösegrenze“). Die festgelegte Anzahl von erforderlichen Arbeitsstunden zur Erreichung der Auslösegrenze gilt dabei für Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte gleichermaßen. Der klagende und auf 90 % Teilzeitbasis beschäftigte Pilot ist nun der Auffassung, die Auslösegrenze müsse für Teilzeitbeschäftigte entsprechend der Elsner-Lakeberg-Rechtsprechungslinie gesenkt werden. Die tarifliche Zusatzvergütung diene zudem gerade nicht dem Ausgleich einer besonderen Belastung, sondern dem Schutz des individuellen Freizeitbereichs des Arbeitnehmers.

Am 1. Dezember 2022 hat Generalanwalt Nicholas Emiliou seine Schlussanträge zur ersten Vorlagefrage des BAG vorgelegt. Diese ist darauf gerichtet, zu klären, nach welcher Methodik zu ermitteln ist, ob die betroffene Entgeltregelung zu einer schlechteren Behandlung von Teilzeitbeschäftigten führt, also ob auf die Gesamtvergütung oder die einzelnen Entgeltbestandteile abzustellen ist. Der Generalanwalt ist der Ansicht, für die Prüfung, ob eine Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten hinsichtlich der Vergütung gegeben ist, sei darauf abzustellen, ob der Teilzeitbeschäftigte für die gleiche Anzahl Stunden geleisteter (gleicher) Arbeit die gleiche Vergütung erhält wie ein Vollzeitbeschäftigter (hiernach vertritt der Generalanwalt die Gesamtvergütungstheorie). Eine Ungleichbehandlung läge nicht vor, da die Stunden unterhalb und oberhalb der Auslösegrenzen für alle Beschäftigten gleichermaßen gelten. Zwar sei es bei Teilzeitkräften seltener der Fall, dass sie die Auslösegrenzen erreichen würden. Doch bedeute dies keine Ungleichbehandlung im Sinne der Teilzeitrichtlinie. Der Sinn und Zweck der Teilzeitrichtlinie liege darin, einen Mindestschutz für Teilzeitbeschäftigte vor Diskriminierung festzulegen. Eine proportionale Absenkung der Auslösegrenzen für Teilzeitbeschäftigte führe hingegen zu einer Bevorteilung der Teilzeitkräfte gegenüber den Vollzeitkräften.

Das Verfahren vor dem EuGH ist bislang nicht abgeschlossen. Mit einer Entscheidung ist jedoch im Frühjahr 2023 zu rechnen.

EuGH-Verfahren KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation (C-184/22)

Auch der Achte Senat legte dem EuGH im Oktober 2021 Fragen zur Überstundenvergütung von Teilzeitbeschäftigten vor (BAG-Vorlagebeschluss v. 28.10.2021 – 8 AZR 370/20 (A), beim EuGH anhängig unter C-184/22). In dem dortigen Fall klagte eine Teilzeitbeschäftigte auf Zahlung von tariflichen Überstundenzuschlägen (30%) bzw. einer entsprechenden Zeitgutschrift auf ihrem Arbeitszeitkonto. Die auf die Klägerin anwendbare Tarifnorm sieht eine Überstundenvergütung jedoch nur für den Fall vor, dass Überstunden über die kalendermonatliche Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten hinaus geleistet werden. Der Achte Senat möchte vom EuGH daher u.a. wissen, ob entsprechende tarifvertragliche Regelungen, nach denen die Zahlung von Überstundenzuschlägen nur für solche Arbeitsstunden vorgesehen ist, die über die regelmäßige Arbeitszeit eines Vollzeitarbeitnehmers hinaus gearbeitet werden, eine Ungleichbehandlung der Teilzeitbeschäftigten darstellt. Fraglich ist hierbei insbesondere, ob auch insoweit wesentliche Maßgaben zur Beantwortung der Vorlagefrage den EuGH-Urteilen Helmig und/oder Elsner-Lakeberg und Voß zu entnehmen sind oder ob hier gegebenenfalls andere Maßgaben gelten.
 
Der Senat positioniert sich im Vorlagebeschluss dahingehend, dass nach seiner Auffassung in Anbetracht des Urteils in der Rs. Helmig keine Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten vorliege. Im Ergebnis würden die Teil- und Vollzeitbeschäftigten pro Arbeitsstunde – und auch für die gleiche Anzahl geleisteter Arbeitsstunden – das gleiche Entgelt erhalten. Er könne aber aufgrund der bestehenden – divergierenden – EuGH-Rechtsprechung nicht vollständig ausschließen, dass eine bloße Orientierung am pro Arbeitsstunde erhaltenen Entgelt zu einer (unzulässigen) Ungleichbehandlung bei den sonstigen Arbeitsbedingungen führt. Daher bedürfe es der Klärung der Frage durch den EuGH.
 
In diesem Verfahren wurden durch den EuGH bislang keine Termine bestimmt. Erst mit der Ankündigung der Termine sind Informationen über die zuständige Kammer und den zuständigen Generalanwalt auf Curia verfügbar. Ob die für das Verfahren C-660/20 zuständige 1. Kammer sowie ggf. auch Generalanwalt Emilio auch in diesem Verfahren tätig werden, ist daher noch nicht vollkommen ausgeschlossen, wenngleich eher unwahrscheinlich.

Praxisrelevanz / Ausblick 

Mit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-660/20 ist bereits im Frühjahr 2023 zu rechnen. Zwar ist der EuGH bei seiner Entscheidung nicht an die Schlussanträge des Generalanwalts gebunden. Tendenziell neigt er jedoch dazu, den Schlussanträgen zu folgen, zumal auch sachlich die besseren Argumente für die Gesamtbetrachtungstheorie sprechen. Sollte der EuGH dies ebenso sehen, dürften viele Arbeitgeber aufatmen können. Sollte der EuGH hingegen von der Auffassung des Generalanwalts abweichen und die erste Vorlagefrage bejahen, also in der tariflichen Auslösegrenze eine Ungleichbehandlung sehen, liegt wie aufgezeigt noch nicht zwingend eine Diskriminierung vor. In diesem Fall würde sich die Diskussion dahingehend verschieben, ob die Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt ist. Sollte der EuGH den Belastungsausgleich als tauglichen Rechtfertigungsgrund einordnen, sollten Tarifvertragsparteien – sofern noch nicht der Fall – darüber nachdenken, die entsprechenden Vergütungstarifverträge in Bezug auf den Förderungszweck zu ändern. Es sollte klargestellt werden, welcher Zweck mit den Überstundenzuschlägen verfolgt wird. Dies kann jedoch etwaige Vergütungsklagen von Arbeitnehmern aus der Vergangenheit nicht verhindern, sondern wirkt in diesem Fall lediglich zukunftsbezogen. Laut den Schlussanträgen sollte der Generalanwalt auf Weisung des EuGH zur zweiten Vorlagefrage nicht vortragen. Dies lässt erahnen, dass der EuGH dem Generalanwalt in seiner Einschätzung folgen könnte.

Unabhängig vom Ausgang der Entscheidung ist diese für einen wachsenden Anteil der Arbeitsverhältnisse von Relevanz: Nach den aktuellen Zahlen (Statista) aus dem 3. Quartal 2022 sind in Deutschland derzeit ungefähr 28% aller Beschäftigten in Teilzeit tätig, Tendenz steigend – im Jahr 2000 betrug der Anteil noch 19%, 2020 waren es bereits 26%. Dabei betrug die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von allen Teilzeitbeschäftigten im Jahr 2021 knapp 21 Stunden. Im Hinblick auf die Üblichkeit der Vereinbarung einer entsprechenden Auslösegrenze für die Zusatzvergütung, dürfte dies also eine nicht unerhebliche Anzahl von Beschäftigten betreffen.

Es bleibt zudem zu hoffen, dass die Vorabentscheidungsverfahren C-660/20 und C-184/22 zumindest nicht inhaltlich voneinander abweichen. So ist die derzeitige Situation, in der EuGH-Entscheidungen untereinander quasi nicht miteinander in Einklang zu bringen sind, den Tarifvertragsparteien, den betroffenen Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie den Gerichten für Arbeitssachen eigentlich nicht zumutbar. Dieser Zustand sollte schnellstmöglich aufgelöst werden.

 
 1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird durchgehend das generische Maskulinum verwendet; es werden jedoch ausdrücklich alle Geschlechteridentitäten hiervon erfasst.
 

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