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Betriebsratsvergütung nach dem Volkswagen-Urteil

Das Risiko war nie höher, dass Geschäftsführung oder Vorstand sich der Untreue strafbar machen, wenn sie einem Betriebsratsmitglied eine Gehaltserhöhung zusagen. Der BGH hat mit seinem Urteil vom 10. Januar 2023 die Freisprüche der ehemaligen VW-Manager aufgehoben und den Fall an das Landgericht Braunschweig zurückverwiesen. Der Vorwurf: Untreue wegen Betriebsratsbegünstigung. Was das auch für die arbeitsrechtliche Praxis bedeutet, soll nachfolgend beleuchtet werden. 

Untreuestraftatbestand und Betriebsratsbegünstigung

Im Kern geht es um die Frage, welche Vergütung ein Betriebsratsmitglied erhalten darf und welche Grenzen hierbei gelten. Der BGH hat deutlich gemacht, dass der objektive Tatbestand der Untreue (§ 266 StGB) dann verwirklicht sein kann, wenn ein Vorstand unter Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot in § 78 Satz 2 BetrVG einem Betriebsrat ein überhöhtes Arbeitsentgelt gewährt. Im zu beurteilenden Sachverhalt bestand beim Autobauer Volkswagen eine „Kommission Betriebsratsvergütung“, die für die Vergütung von freigestellten Betriebsräten1 zuständig war. Die Angeklagten gehörten dieser Kommission an. Im Laufe der Jahre 2011 bis 2016 wurden verschiedenen Betriebsräten höhere Monatsentgelte oder freiwillige Bonuszahlungen gewährt. Die Betriebsräte waren im Hinblick auf ihr Gehalt teilweise schließlich mit dem Top-Managementkreis vergleichbar. Rechtsberater hatten dieses Vorgehen als rechtmäßig bestätigt. 

Der BGH sieht in dieser Praxis einen Verstoß durch die ehemaligen Vorstandsmitglieder gegen ihre Vermögensbetreuungspflicht aus § 93 Abs. 1 AktG. Für Prokuristen ergebe sich diese Vermögensbetreuungspflicht bereits aus der Prokura als solcher. Die Vergütungspraxis stehe nicht in Einklang mit den betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen zur Betriebsratsvergütung. Die Erhöhung der Betriebsratsvergütung unter Verstoß gegen das Begünstigungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG stelle einen Verstoß gegen die Vermögensbetreuungspflicht dar. Die Vergütungsabrede sei nichtig nach § 134 BGB. Der Gesellschaft entstehe dadurch ein nicht kompensierter Vermögensschaden. Dies gelte selbst dann, wenn diese Zahlungen zum Wohle des Unternehmens die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat fördern sollten. 

Keine „Sonderkarrieren“ von Betriebsräten

Spannend wird die Entscheidung des BGH an der Stelle, an der es um die Kriterien für einen Verstoß gegen das Begünstigungsverbot geht. Die betriebsverfassungsrechtlichen Vorgaben zur Betriebsratsvergütung sind in § 37 BetrVG verankert. 

Danach ist das Betriebsratsamt ein Ehrenamt (§ 37 Abs. 1 BetrVG). Es gilt das Lohnausfallprinzip (§ 37 Abs. 2 BetrVG). Das bedeutet, dass der Betriebsrat für die Ausübung seines Amtes von der Arbeitsleistung in erforderlichem Umfang freigestellt werden kann, ohne seinen Gehaltsanspruch zu verlieren. Während seiner Amtszeit und für ein Jahr danach darf das Entgelt von Betriebsratsmitgliedern lediglich nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung (§ 37 Abs. 4 BetrVG). 

Der BGH hat nun den Wortlaut des § 37 BetrVG sehr strikt angewandt und klargestellt, dass eine Bewertung der Betriebsratstätigkeit für Vergütungszwecke ausscheide. Dies gelte auch für im Betriebsratsamt erworbene Qualifikationen, soweit sie nicht im Zusammenhang mit der bisherigen Arbeitstätigkeit stünden. Der im Interesse der Unabhängigkeit des Betriebsratsamtes anzulegende strenge Maßstab verbiete es, auf die hypothetische Gehaltsentwicklung des Betriebsrats bei einer Sonderkarriere abzustellen. Vergleichbar sei vielmehr nur, wer im Zeitpunkt der Amtsübernahme ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausgeführt habe und dafür in gleicher Weise wie der Betriebsrat fachlich und persönlich qualifiziert war. Üblich sei eine Entwicklung, wenn die überwiegende Anzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer eine solche typischerweise bei normaler betrieblicher und personeller Entwicklung genommen habe. Diese Regeln gelten auch für Beförderungen. Ein Aufstieg sei insbesondere nur dann betriebsüblich, wenn die Mehrzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer einen solchen erreicht habe. Die Zahlung einer höheren Vergütung setze voraus, dass der Betriebsrat nur infolge der Amtsübernahme nicht in die entsprechend vergütete Position aufgestiegen sei. Darüber hinaus gehende Vergütungserhöhungen verstoßen gegen das Begünstigungsverbot aus § 78 Satz 2 BetrVG. 

Der BGH folgt damit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und erteilt solchen Stimmen in der Literatur eine Absage, wonach die durch die Amtsausübung erlangten besonderen Qualifikationen des Betriebsrats bei der hypothetischen Karriere zu berücksichtigen sein sollen. Betriebsräte sind somit auch nach der Rechtsprechung des BGH im Grundsatz während ihrer Amtszeit so zu vergüten wie sie vor Amtsantritt vergütet wurden und unter Berücksichtigung der betriebsüblichen Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer. Sonderkarrieren von Betriebsräten hat der BGH damit einen Riegel vorgeschoben.

Das LG Braunschweig hat nun insbesondere im Hinblick auf die Feststellungen zum subjektiven Tatbestand der Untreue den Fall wieder aufzurollen. Der BGH hat es nicht ausreichen lassen, dass Gutachten eingeholt worden seien, die die Rechtmäßigkeit des Vorgehens der „Kommission Betriebsratsvergütung“ bestätigten, um Vorsatz zu verneinen. Dies gelte insbesondere bei Gutachten, die „rechtlichen Flankenschutz“ für die tatsächliche Handhabung bieten sollen. Schon wenn dem Handelnden bewusst gewesen sei, dass er sich in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte, könne die für eine Strafbarkeit erforderliche Unrechtseinsicht vorliegen.

Folgen für die Praxis

Für die Praxis zieht das Urteil erhebliche Folgen nach sich. Es dient zwar einerseits dem Zweck, die Unabhängigkeit der Betriebsräte zu fördern. Konkret heißt das andererseits aber auch, dass Unternehmen ihre Praxis auf die strikte Einhaltung der betriebsverfassungsrechtlichen Vorgaben überprüfen müssen. Auch Gehaltsanpassungen nach unten sowie die Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen kommen in Betracht, um dem Vorwurf der Untreue durch Führungskräfte und Organmitglieder keinen Raum zu geben.

Fußnoten

1Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird durchgehend das generische Maskulinum verwendet; es werden jedoch ausdrücklich alle Geschlechteridentitäten hiervon erfasst.

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